Deutschland gehen die Studenten aus

Eigentlich sollen und müssen es mehr StudentInnen werden. Jetzt kommt das Statistische Bundesamt mit ernüchternden Zahlen – Abiturienten wenden sich ab, die Studierendenzahl sinkt. Ursachen: Bezahlstudium und selektives Bildungssystem

AUS BERLIN MARTIN LANGEDER
UND CHRISTIAN FÜLLER

Mit einer Mischung aus Häme und Erschrockenheit quittierte die Hochschulszene gestern die Tatsache, dass die Zahl der Studierenden gesunken ist. Nur noch 35 Prozent eines Altersjahrgangs wagte 2005 den Schritt an die Hochschulen. „Das ist ein herber Rückschlag für die Bundesregierung“, kommentierte Achim Meyer auf der Heyde vom Deutschen Studentenwerk. „Man hat uns immer als Schwarzmaler hingestellt“, sagte Konstantin Bender vom studierendenbündnis fzs, „jetzt zeigt sich – wir hatten recht: Studiengebühren schrecken ab.“

Die Entwicklung ist widersprüchlich. Die Bundesrepublik steht vor einem Mangel an Hochqualifizierten – aber immer weniger Schulabgänger trauen sich an die Hochschulen. Der Rückgang in einzelnen Länder ist laut Statistischem Bundesamt spektakulär: Sachsen verliert 13 Prozent an Studienanfängern, die beiden großen Bundesländer Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen büßen 10 beziehungsweise 9 Prozent ein. Auch in ökonomisch wichtigen Disziplinen knicken die Zahlen empfindlich ein: Minus 15 Prozent in Elektrotechnik, 8 Prozent in Maschinenbau und jeweils 5 Prozent Verlust in Informatik und Bauingenieurswesen.

„Der Anteil der Studienanfänger an der gleichaltrigen Bevölkerung entwickelt sich negativ“, beklagte die Präsidentin der Hochschulrektorenkonferenz, Margret Wintermantel. „Wir entfernen uns immer mehr von dem politisch erklärten Ziel, 40 Prozent eines Altersjahrgangs an die Hochschulen zu führen.“

Im Osten der Republik ist die jetzige Entwicklung aber erst der Beginn – dort sterben die Studierenden quasi aus. „Bereits in fünf Jahren halbiert sich die Zahl der Studienberechtigten in den neuen Bundesländern“, sagte der Bildungsökonom Dieter Dohmen.

Bei einer Konferenz über die Zukunft der Osthochschulen begann das Nachdenken, wie man mit dem Studienexodus fertig wird. Die Vorschläge klingen apart: „Die ostdeutschen Hochschulen müssen im Westen bekannter und für Frauen attraktiver werden“, sagte Dohmen, der Leiter des Berliner Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie. Obwohl Frauen in den östlichen Bundesländern fast 60 Prozent der Studienberechtigten stellen, liegt der Anteil der studierenden Frauen im Durchschnitt bei nur 49 Prozent.

Die Situation der Hochschulen im Osten des Landes ist für die ganze Republik bedeutsam. Trotz des derzeitigen Rückgangs soll es nach seriösen Berechnungen statt der heute 1,97 Millionen bald 2,7 Millionen Studierende geben – vor allem im Westen der Republik. Länder wie Baden-Württemberg denken daher darüber nach, ein Pflichtstudienjahr im Osten einzuführen.

Die große Frage gestern lautete: Warum gehen die Studierendenzahlen zurück, obwohl es mehr Studienberechtigte gibt und alle mehr Studienanfänger wollen? Die Antwort lautete einhellig von OECD über Rektoren bis zu den Studenten: Das Bildungssystem ist zu selektiv.