Die Welt und ihre Geschichte

ÖKOLOGIE Joachim Radkau hat die Geschichte der Umweltbewegung als soziale Bewegung geschrieben

VON FELIX EKARDT

Macht und Ohnmacht des Umweltschutzes, das Klagen über seine zu geringe Wirksamkeit oder umgekehrt die Forderung seiner Zurückdrängung sind seit 40 Jahren ein zentraler Gegenstand von Politik. Das neue, flott geschriebene Buch des Umwelthistorikers Joachim Radkau „Die Ära der Ökologie“ widmet sich einer Gesamtschau auf die Umweltbewegung von ihren großen Konflikten, Ereignissen und Persönlichkeiten her.

Radkau baut auf sein letztes Umweltbuch „Natur und Macht“ auf, das weit in die Geschichte zurückblickt. In seinem neuen Buch porträtiert er besonders die letzten 40 Jahre und konkret die Umweltbewegung als soziale Bewegung. So entsteht letztlich auch eine Geschichte der Umweltdebatte an sich. Dabei lässt er von Tschernobyl über das Waldsterben oder den Streit über die Atomkraftwerke bis zum Klimawandel keine größere Debatte aus. Doch greift er auch viel ältere Ursprünge der Umweltbewegung auf. Deutlich zeigt die historische Perspektive, dass die großen Umweltthemen – saubere Luft, sauberes Wasser, Ernährungssicherheit, Holzverfügbarkeit – letztlich sehr alt sind. Ihre Verknüpfung in einer einheitlichen sozialen Bewegung ist allerdings historisch ein Novum.

Für Radkau ist der Umweltschutz die Fortführung der Aufklärung, nur vielfältiger und ohne Ausblendung von Körperlichkeit und Natur. Er bietet dabei nicht nur ein Problempanorama, sondern auch eine Vielzahl wichtiger und origineller Folgerungen aus der historischen Erfahrung. Das Schwinden lebenswichtiger Ressourcen werde etwa nicht notwendig zu einer Art globaler Solidarität mit gemeinsamen Verteilungsansätzen führen. Ressourcenknappheit könnte vielmehr auch Imperialismus und hegemoniale Politik hervorbringen. Generell ist es vielleicht der größte Pluspunkt der umwelthistorischen Perspektive, wenn sie durchgängig daran erinnert, wie wenig neu nicht nur die großen Umweltthemen sind, sondern auch die konkreten Kontroversen. Ökonomie und Ökologie konkurrierten zum Beispiel schon in früheren Jahrhunderten.

Radkaus Fokus auf die Umweltbewegung hat einen Preis: Eine systematische Abhandlung des Umweltschutzes an sich ist das Buch nur bedingt. Weder werden die mentalen und sozialen Ursachen der Überinanspruchnahme der Lebensgrundlagen erschöpfend behandelt, noch werden die möglichen politischen Antworten systematisch erörtert. Gleiches gilt für die ethischen und rechtlichen Fragen – und für die aktuellen Kontroversen um den Abschied von der Wachstumsökonomie. Hier zeigt sich auch ein generelles Problem der historischen Denkweise: Historiker interessiert letztlich alles, sofern es halbwegs mit der Vergangenheit zu tun hat, ob es nun komplizierte technische, ethische, rechtliche oder soziale Fragen sind. Das führt zwangsläufig zu Lücken, auch Fehlern, selbst bei einem so enthusiastischen Forscher wie Radkau. In dieser Logik kritisiert Radkau manchmal auch eher fiktive Gegner: Dass Klimaschutz in vielen anderen Ökologiebereichen wesentliche Effekte hervorbringen kann und dass jenseits des Klimawandels weitere zentrale Umwelt- und Ressourcenprobleme bestehen, ist wahrlich keine neue Einsicht.

Radkaus historisch-distanzierter Blick kann zwar in aktuellen Kontroversen zu mehr Differenziertheit verhelfen. Doch die Neigung, im Zweifel vieles unter der Hand als doch irgendwie schon lange bekannt zu verkaufen, droht die existenziellen Menschheitsprobleme von heute zu trivialisieren.

Die globale Umweltpolitik hält Radkau offenbar weitgehend für gescheitert. Echter Umweltschutz scheint ihm letztlich nur regional und konkret möglich zu sein. So verständlich sein Loblied auf Graswurzelbewegungen und auf den Nationalstaat in Zeiten schwächelnder globaler Regelungsversuche ist – wie er damit ein globales Problem wie den Klimawandel in den Griff bekommen möchte, bleibt unklar. Besonders, wenn die Staaten sich auch noch einen Wettlauf um die billigste Klimapolitik zu liefern drohen. Dass die Lösung unserer Ressourcen- und Klimaprobleme deshalb parallel ein radikales Umdenken vor Ort bei uns allen und zugleich globalpolitische Vorgaben braucht, macht er zu wenig deutlich. Dennoch wünscht man sich, dass viele das Buch lesen.

Joachim Radkau: „Die Ära der Ökologie. Eine Weltgeschichte“. C. H. Beck Verlag, München 2011, 782 Seiten, 29,95 Euro