Weitergelebte Wohnutopie

LEBENSFORMEN Genau vor 30 Jahren wurde das ehemalige Dampfsägewerk an der Lausitzer Straße besetzt. Seitdem erprobt man in der „Regenbogenfabrik“ solidarische Ökonomie, inzwischen sogar mit Technotouristen

VON JENNI ZYLKA

Im Kinderbuch „Katzenhaus“, das der dänische Autor Ib Spang Olsen1970 schrieb und illustrierte, ziehen die Geschwister Lasse und Laura in das oberste Stockwerk eines anonymen Mietshauses. Vom Fenster ihrer Wohnung aus sehen sie zwar keine anderen Kinder, dafür aber erkennen sie merkwürdige Gebäude auf dem Nachbargrundstück. Beim Erkunden dieser Häuschen und ihrer verschachtelten Hinterhöfe entdecken sie eine neue Welt: Sie ist nur von Kindern bewohnt, die in einer Werkstatt Fantasiemaschinen bauen, mit Deckenlaufstiefeln an der Tapete herumkraxeln, mit Pferden über eine Prärie galoppieren und neben einem riesigen Kletterbaum Bananen rösten.

Olsen hatte die Zeichen der Zeit erkannt: Er präsentierte in „Katzenhaus“ eine kinderfreundliche, generationenübergreifende, soziale und fast grenzenlose Wohnutopie, deren Geist von den 68ern bis in die Hausbesetzerideen der 80er wehte. Auch an einen Ort, dessen Geschichte heute vor 30 Jahren in einem ehemaligen Dampfsägewerk an der Lausitzer Straße begann: In der „Regenbogenfabrik“, deren Gebäude mit dem charakteristischen Ziegelschornstein aus dem 19. Jahrhundert stammen, reparieren Kinder aus der Regenbogen-Kita Fahrräder, spielen um selbst gepflanzte Beete herum; Sägespäne aus der Tischlerinnen-Werkstatt vermischen sich mit dem Qualm der Selbstgedrehten aus der „Baugruppe“, aus der Kiezküche weht eine Brise Mittagessen, aus dem Café eine Brise Zimtbrownies, im Regenbogenkino läuft „Der Partyschreck“, und mittendrin, vor dem fabrikeigenen Hostel, stehen verwunderte spanische Backpacker, die sich nicht ganz sicher sind, ob das mediokre Hippie-Ambiente mit ihren Vorurteilen zur Technopartystadt Berlin vereinbar ist.

Die wenigsten wissen, dass sie sich in einem Denkmal befinden. „Nicht die Fabrik allein, sondern das ganze Gebäudeensemble steht seit den 90ern unter Denkmalschutz“, erklärt Christine Ziegler, die am 14. März 1981 fleißig mit besetzte und seitdem – mit einer Lücke von sieben Jahren – am Traum der Regenbogenfabrik feilte. Genau diese Gemeinsamkeit von „Wohnen und Arbeiten im Kiez“ habe den Ausschlag gegeben, sagt sie, und erzählt von den Anfangsschwierigkeiten mit Instandbesetzen und Spendenpartys, von der Legalisierung 1984, der Entwicklung hin zu längeren Mietverträgen und schließlich dem Kauf der Fabrik durch das Abgeordnetenhaus.

Seitdem müssen die vielen nichtkommerziellen Vereine und Gruppen zwar nur noch für die – mit 7.000 Euro immer noch amtlichen – Betriebskosten und die ungefähr gleich hohen laufenden Allgemeinkosten aufkommen. Aber, resümiert Ziegler, es wird gerade wieder schwerer: Die Erbpacht steht bevor, es gibt ständige Diskussionen mit dem Land Berlin, inwiefern die unterschiedlichen FabrikbespielerInnen – zum Beispiel das Hostel – noch unter dem Deckmantel „gemeinnütziger Verein“ laufen und somit nicht lukrativ sein dürfen, und feste Stellen sind Mangelware.

Dabei ging es eigentlich immer schon um „solidarische Ökonomie“, denn die Regenbogenfabrik war nie „ein reines Sozialprojekt, sondern eine Mischung“, sagt Ziegler. „Momentan hangeln wir uns von einer schlechten Finanzierung zur nächsten.“ Aber das Café der „Bäckerinnen“, in dem man auch solidarischen Nicaragua-Kaffee und anarchistischen Rotwein kaufen kann, läuft gut, sukzessiv will die Fabrik es mehr für Lesungen und Ausstellungen nutzen. Viele der Regenbogengarde sind um die 50, bärtige Bauarbeiter, diskussionsaffine Schwäbinnen, die Regenbogenfabrik war –allein durch das Logo – schon queer, bevor das Wort in aller Munde ankam, und dass es in der Selberbasteln-Fahrradwerkstatt einen Frauentag gibt, mag auf die gepiercten Twentysomethings, die gerade in Berlins angeblich heißesten Stadtteil gezogen sind, fast antiquiert wirken. Doch frau kann sich hier noch gut daran erinnern, was frau sich erkämpfen musste.

Und so wollen die Kitakinder an Sonnentagen gar nicht nach Hause, sondern rennen den ganzen Nachmittag unter den Bäumen herum, dazu kommen – der Platz ist öffentlich – die NachbarInnen mit Nachwuchs. Bei Festen hängen die RegenbogenbauerInnen Girlanden auf, backen Stockbrot über dem offenen Feuer, verkaufen Honig von glücklichen Bienen und Wurst von freiwillig dahingeschiedenen Schweinen, lassen auf einer Holzbühne kleine Kapellen auftreten und pfeifen laut auf die Gentrifizierung. Und der momentanen Zu-viel-Kreuzberg-Tourismus-Diskussion zum Trotz sollte man eigentlich jedeN BerlinbesucherIn aus Prinzip einmal hier übernachten lassen. Nur um klarzustellen, dass die Hackeschen Höfe keine Blaupause sind.

■ 18. 3.: 19 Uhr Filmpremiere „Solidarische Ökonomie. 30 Jahre Arbeit am Regenbogen“ von Anne Frisius; 19. 3.: ab 14 Uhr Hoffest, ab 20 Uhr Geburtstagsparty im Regenbogenkino. Infos www.regenbogenfabrik.de