Kein Grund zum Sickern

Das an vielen Stellen mit Müll verstopfte Kanalsystem Jakartas ist völlig unzureichendSelbst die Luxushotels im Zentrum Jakartas sind mit Hochwasserflüchtlingen ausgebucht

aus JAKARTA CHRISTINA SCHROTT

„Das Wasser ist weg, jetzt sitzen wir im Schlamm. Und wenn wir alles aufgeräumt haben, kommt die nächste Flut. So ist das in Jakarta.“ Bis zu den Knöcheln steht Mulyani Pipin im zähen, braunen Schlick vor ihrer Haustür. Die 47-jährige Witwe lebt mit ihrer neunköpfigen Familie in einem kleinen Haus im Stadtteil Bukit Duri, wenige Schritte vom Fluss Ciliwung entfernt. Auf der engen Gasse daneben schaufeln Männer mit Holzschippen den Schlamm in die offene Gosse. Frauen schrubben Schränke und Tische und versuchen hier einen Schuh und da eine Tasse aus der schmierigen Masse zu retten.

Noch am Wochenende stand das Wasser hier im Süden der indonesischen Hauptstadt drei Meter hoch, nur die Wellblechdächer schauten aus der braunen Flut heraus. „Wir sind ja daran gewöhnt, dass uns der Fluss mindestens einmal im Jahr ins Haus steigt, aber so hoch kam er noch nie“, sagt Mulyani Pipin und zeigt auf die Nägel im Türrahmen, die die früheren Fluthöhen markieren. Die dreckigen Schlieren, die das jüngste Hochwasser hinterlassen hat, ziehen sich bis in den zweiten Stock.

Die Überschwemmungen kamen nicht überraschend. In den letzten Jahren hat sich der Beginn der Regenzeit in Indonesien immer weiter nach hinten verschoben. In viel kürzerer Zeit gab es viel intensivere Niederschläge. „Auch wir spüren die Auswirkungen des globalen Klimawandels: Nach unserer alten Zeitrechnung sollte es schon ab Oktober regnen, doch mittlerweile ist es oft bis in den Dezember hinein trocken“, erklärt Chandra Kirana, Meteorologe bei der Umweltorganisation Pelangi.

Der Rest der Katastrophe ist hausgemacht. Das an vielen Stellen mit Müll verstopfte Kanalsystem Jakartas ist völlig unzureichend. Doch statt Hochwasserschutz und Müllentsorgung zu verbessern, ließ Gouverneur Sutiyoso in seiner zweiten Amtszeit lieber Busspuren und überdimensionale Statuen bauen. Die Zwölfmillionenmetropole hat nicht mehr genügend Grünflächen, um größere Wassermassen sofort aufzunehmen: Wo nach alten Masterplänen offene Areale existieren müssten, stehen heute glitzernde Einkaufszentren. Ein fünfzehnminütiger Tropenregen reicht aus, um den Verkehr auf den Hauptstraßen zum Stocken zu bringen, weil das Wasser nicht schnell genug abfließen kann.

Ungewöhnlich sind allerdings die Ausmaße des diesjährigen Hochwassers, das selbst die Erinnerungen an die bislang höchste Flut von 2002 verblassen lässt. Nach den Regenfällen der vergangenen Woche standen fast 70 Prozent des Stadtgebiets unter Wasser, rund 340.000 Menschen mussten zeitweilig aus ihren Häusern flüchten. Trotz rechtzeitiger Warnungen weigerten sich viele, ihr Hab und Gut zu verlassen, und harrten tagelang auf Balkonen oder Dächern aus. So auch in Bukit Duri: Die Bewohner hatten Kleider, Betten und Elektrogeräte in die oberen Stockwerke geschafft – in der Regel Verschläge aus Asbest- oder Spanplatten, die auf den eng aneinandergereihten Häuschen kleben.

Die üblichen Vorkehrungen reichten aber dieses Mal nicht aus. „Das Wasser stieg sehr schnell. Viele Nachbarn mussten sich mit Leitern über die Dächer retten“, erzählt Mulyani. „Wir hatten alle unsere Sachen nach oben geschafft, aber das hat auch nichts mehr genützt: Matratzen, Gasherd – alles kaputt.“

Dennoch muss die Familie weder hungern noch im Nassen schlafen. Nachbarn am oberen Teil des Hangs haben ihre Häuser für die Flutopfer geöffnet. Einige Frauen haben eine Gemeinschaftsküche organisiert, in der sie in den vergangenen Tagen für mehrere hundert Leute gekocht haben. Reis, Eier und Tofu kamen bislang vor allem von privaten Spendern aus anderen Vierteln Jakartas. Von der Regierung gab es nur einmal eine Essensration pro Familie.

„Wir verlassen uns lieber auf unser eigenes Netzwerk“, sagt Santi. Wie viele andere junge Leute im überwiegend muslimischen Stadtteil Bukit Duri engagiert sich die 27-Jährige seit Jahren in der Nichtregierungsorganisation „Sanggar Ciliwung“ des Jesuitenpaters Sandyawan Sumardi, die unter anderem von der Caritas unterstützt wird. „Essen und Medikamente haben bisher einigermaßen ausgereicht, jetzt fehlen vor allem Matratzen und Decken. Die Leute schlafen auf dem Boden, erkälten sich und bekommen Durchfall“, so Santi.

Auch die Angst vor Typhus, Leptospirosis oder Dengue-Fieber ist angesichts der schlechten hygienischen Verhältnisse groß. Der Ciliwung dient den Bewohnern von Bukit Duri in normalen Zeiten als Waschküche, Kinderplanschbecken und Müllkippe zugleich. Kleine Verschläge auf wackeligen Bambusflößen fungieren als öffentliche Toilette. Mit der Flut schwappte den Menschen ihr eigenes Abwasser ins Haus und in den Trinkwasserbrunnen. Krankheiten sind vorprogrammiert. Um den Ausbruch von Seuchen zu verhindern, hat Indonesiens Regierung Hochwasseropfern Gratisbehandlungen in den lokalen Gesundheitszentren zugesagt. Die EU-Kommission hat mehr als 600.000 Euro zur Verfügung gestellt, das Rote Kreuz verteilt Hygiene-Kits.

Plötzlich steht ein Arzt in der Gemeinschaftsküche. Doktor Kamal kommt aus dem reichen Südwesten Jakartas, der von der Flut wenig betroffen war, und fragt, ob sich jemand untersuchen lassen wolle. In wenigen Minuten bildet sich eine lange Schlange vor dem eilig organisierten Behandlungstisch. Der Allgemeinpraktiker verschreibt Salben gegen Ausschläge, schaut in rote Hälse und verbindet Wunden, die sich im dreckigen Wasser infiziert haben. „Sonst spende ich an Organisationen, wenn sich irgendwo eine Katastrophe ereignet. Aber dieses Mal ist es hier vor meiner Haustür passiert – da wollte ich direkt helfen“, so Kamal.

Nicht überall funktioniert die Nachbarschaftshilfe so gut wie in Bukit Duri. Immer noch warten viele tausend Menschen in Schulen und Moscheen darauf, dass sie in ihre Häuser zurückkehren können. Selbst die Luxushotels im Zentrum Jakartas sind mit Hochwasserflüchtlingen ausgebucht: Denn betroffen waren diesmal nicht nur die ärmeren Gegenden an den unbefestigten Flussufern, sondern auch Elite-Wohnanlagen wie Kelapa Gading oder Pulo Mas in Nordost-Jakarta. Ausgerechnet dort stand das Wasser gestern immer noch einen knappen Meter hoch. „Diese modernen Wohnviertel haben zwar ihre eigenen Kanalsysteme, doch sind diese nicht integriert in ein größeres Stadtsystem“, erklärt Marco Kusumowijaya, Stadtplaner und Umweltaktivist. „Während in anderen Quartieren das Hochwasser abfließt, sobald der Flusspegel sinkt, ist die Flut hier quasi so lange eingesperrt, bis der Wasserstand wieder auf normal gefallen ist.“

Zwar geht die Flut zurück und im Zentrum Jakartas kehrt allmählich wieder Alltag ein. In vielen Stadtteilen allerdings ist der Strom immer noch abgestellt und das Telefonnetz gestört. Die Behörden warnen weiterhin vor starken Regenfällen und ihren möglichen Folgen. „Es wird noch eine Weile dauern, bis wir wieder ruhig schlafen können“, stellt Mulyani fest.