Viele gute Absichten, wenig konkrete Unterstützung

Nach dem Mord an Hatun Sürücü forderten Politiker mehr Beratung und Schutz für bedrohte Frauen. Doch wichtigen Projekten wurde Geld gestrichen

Sie hatte Orkanstärke, die Debatte, die der Mord an Hatun Sürücü auslöste. Politiker und Experten verlangten mehr Beratung und Schutz für von Zwangsverheiratungen oder Ehrenmorden Bedrohte. Es wurden Gesetzesinitiativen eingebracht. Und die Flut von Konferenzen und Podiumsdiskussionen zu dem Thema ist bis heute nicht verebbt.

Sichtbare Konsequenzen blieben dennoch weitgehend aus. Eine im Februar 2006 vom Bundesrat angenommene Gesetzesinitiative zur Verschärfung der Strafen für Zwangsverheiratung ging in den Tiefen des Bundestages verloren. Das Land Berlin war damals mit seinem Vorschlag, auch die Rückkehrmöglichkeiten für ins Ausland Zwangsverheiratete zu verbessern, bereits im Bundesrat gescheitert.

Auch bei der Verbesserung der Schutz- und Beratungsangebote ist es überwiegend bei guten Absichten geblieben. Zwei spezialisierte Schutzeinrichtungen gibt es heute – bundesweit. „Und die gab es auch schon zuvor“, sagt die Rechtsanwältin Regina Kalthegener. Eine dritte in Köln habe im vergangenen Jahr schließen müssen. Die Anwältin Kalthegener setzt sich als Berliner Beauftragte der Menschenrechtsorganisation Terre des Femmes seit vielen Jahren für Betroffene ein.

Verbessert, meint Kalthegener, habe sich seit dem Mord an Hatun Sürücü vor allem die Sensibilität für das Thema: Betroffene trauten sich heute eher, Hilfe zu suchen. Die sei dann jedoch oft schwer zu leisten: Es fehle an ausreichend „unkomplizierten und spontanen Unterbringungsmöglichkeiten für Opfer“, so die Anwältin. Für von familiärer Verfolgung bedrohte Männer gibt es die gar nicht.

Um Mädchen und junge Frauen vor allem aus muslimischen Einwanderergruppen, die Schutz vor ihren Familien brauchen, kümmert sich in Berlin seit 1986 der Verein Papatya – seit Jahren mit dem immer gleichen Etat. „Wir bekommen heute mehr öffentliche Anerkennung als früher. Das freut uns“, sagt eine Papatya-Mitarbeiterin, die wie ihre Kolleginnen persönliche Anonymität bewahrt. Die Fördersumme von der Senatsjugendverwaltung reiche allerdings heute nur noch für zwei Drittel der Kosten. „Wir können nicht sparen, indem wir Öffnungszeiten einschränken, denn wir wollen rund um die Uhr betreuen“, erklärt die Mitarbeiterin. Ein anderes Projekt des Vereins muss auslaufen: die Online-Mädchenberatung in türkischer und deutscher Sprache. Sie wurde bisher von der „Aktion Mensch“ finanziert. Ein Antrag auf neue Förderung hängt seit Monaten im Bundesfamilienministerium fest.

Dabei sind es gerade solche einfach und anonym in Anspruch zu nehmenden Beratungsangebote, an denen es fehle, sagt die Psychologin Dorothea Zimmermann. Sie arbeitet beim Mädchennotdienst „Wildwasser“. Auch der musste in den vergangenen Jahren seine Beratungsangebote einschmelzen. „Wir können beispielsweise nicht mehr in die Schulen gehen“, sagt die Psychologin. Dafür fehle das Personal. Solche aufsuchende Beratung sei aber „als Aufklärungsarbeit sehr sinnvoll“.

Das findet auch Almuth Nehring-Venus (PDS), die zuständige Staatssekretärin in der Senatsverwaltung für Frauen. Beratung in Schulen „ist für uns weiterhin ein Thema“, sagt sie. Derzeit sieht Nehring-Venus jedoch „keine Finanzierungsmöglichkeit aus unserem Haus“. Immerhin seien von der Bildungsverwaltung gute Informationsmaterialien für Lehrer entwickelt worden. Aber: „Man kann sich bei Themen wie familiäre Gewalt und Zwangsverheiratungen immer vorstellen, noch mehr zu tun“, so Nehring-Venus.

Das zu fördern, haben sich die frauenpolitischen Sprecherinnen der Oppositionsfraktionen vorgenommen. „Wir werden das Thema wieder neu anpacken“, kündigt die Grüne Anja Kofbinger an. Regelmäßige Diskussionen unter dem Titel „Frauen ins Gespräch“ sollen künftig dabei helfen. Auch die FDP ist aktiv: Auf ihren Antrag hin wird Ende des Monats auch der Bundestag wieder über die Gesetzesinitiative debattieren. Alke Wierth

Infos im Internet: terre-des-femmes.de, papatya.org, wildwasser.de