Zehn Jahre Kosovokrieg: Es musste sein

Wer die Zustände im Kosovo aus eigener Anschauung kannte, musste den Krieg gutheißen. Denn unter Milosevic entstand ein Apartheidsystem - mitten in Europa.

März 1998: Die serbische Polizei beendet gewaltsam den friedlichen Protest von Kosovo-Albanern in Prishtina. Bild: reuters

28. März 1989: Das serbische Parlament hebt die Autonomie der Provinz Kosovo auf.

September 1991: Im Zuge des Zerfalls Jugoslawiens wird die "Republik Kosova" proklamiert.

Februar 1998: Die Befreiungsarmee des Kosovo (UÇK) beginnt den bewaffneten Kampf gegen staatliche Einrichtungen und die serbische Zivilbevölkerung.

März 1998: Die jugoslawische Armee und serbischen Sondereinheiten starten eine Gegenoffensive, bei der es zu Übergriffen auf die albanische Zivilbevölkerung kommt.

31. März 1998: Der UN-Sicherheitsrat beschließt ein Embargo gegen Jugoslawien.

Juli 1998: Jugoslawische Einheiten beginnen erneut eine Großoffensive. 230.000 Kosovoalbaner befinden sich auf der Flucht.

23. September 1998: In der Resolution 1199 spricht der UN-Sicherheitsrat von der "Bedrohung des Friedens", verzichtet aber darauf, mit Gewalt zu drohen.

Oktober 1998: Nach einem Ultimatum der Nato erklärt sich der serbische Präsident Slobodan Milosevic bereit, der UN-Resolution Folge zu leisten und den größten Teil der serbisch-jugoslawischen Kräfte aus dem Kosovo abzuziehen.

Januar 1999: Die Kämpfe flammen erneut auf. Am 15. Januar werden in Racak 40 Tote gefunden. Die Nato erneuert ihre Androhung eines Luftangriffs. Bis heute gibt es Zweifel, ob es sich bei den Toten von Racak, wie von der UÇK behauptet, um Zivilisten handelte oder, wie von serbischer Seite behauptet, um UÇK-Kämpfer.

6. Februar 1999: Im französischen Rambouillet beginnen unter Vermittlung der Nato Gespräche zwischen der jugoslawischen Führung und den Führern der Kosovo-Albaner. Die Kosovo-Albaner akzeptieren das vorgelegte Papier, das eine umfassende Autonomie für das Kosovo, die Entwaffnung der UÇK und die Stationierung von Nato-Truppen vorsieht.

23. März 1999: Jugoslawien unterschreibt einen Teil des Rambouillet-Abkommens, aber nicht den militärischen Teil ("Annex B").

24. März 1999: Die Nato beginnt ihre Luftangriffe auf Jugoslawien. Beteiligt sind auch deutsche Kampfflugzeuge. In einer Fernsehansprache sagt Bundeskanzler Gerhard Schröder: "Wir führen keinen Krieg, aber wir sind aufgerufen, eine friedliche Lösung im Kosovo auch mit militärischen Mitteln durchzusetzen."

März 1999: 460.000 Menschen werden von jugoslawischen Einheiten aus dem Kosovo vertrieben oder fliehen vor dem Krieg.

6. April 1999: Als erste Zeitung veröffentlicht die taz den "Annex B" des Rambouillet-Abkommens.

April 1999: Nachdem sich die Angriffe vorrangig auf militärische Ziele gerichtet haben, weitet die Nato ihre Angriffe auf innerstädtische Gebiete und die Infrastruktur aus. Immer häufiger werden Zivilisten getötet, serbische Zivilisten wie kosovo-albanische Flüchtlinge.

9. Juni 1999: Die Kriegsparteien einigen sich auf den Abzug der serbischen Truppen aus dem Kosovo und die Stationierung einer Nato-geführten Friedenstruppe unter UN-Mandat. Zehntausende Serben, Roma und Juden fliehen aus dem Kosovo oder werden von UÇK-Kämpfern vertrieben.

12. Juni 1999: 50.000 Nato-Soldaten rücken im Kosovo ein. Die Provinz kommt unter Kontrolle der UN.

17. Februar 2008: Das Parlament des Kosovo erklärt die Unabhängigkeit, was 54 der 192 UN-Mitgliedstaaten anerkennen. TAZ

Als ich zum ersten Mal 1987 ins Kosovo kam, hatte ich keine Ahnung von dem komplizierten und weit in die Geschichte reichenden Konflikt, der schließlich den Krieg in Jugoslawien und die erste militärische Intervention Deutschlands nach 1945 auslösen sollte. In Belgrad hatte ich von den Klagen gehört, albanische Männer vergewaltigten massenhaft serbische Frauen. Doch dies stellte sich bald als Propagandalüge heraus.

In Wirklichkeit hatten die serbischen nationalen Kreise die Befürchtung, angesichts des albanischen Bevölkerungszuwachses zur Minderheit zu werden. Der Vorgang war eingebettet in eine Kampagne, die im sozialistischen Jugoslawien eingeschlafenen nationalen Gefühle wiederzuerwecken. Die antialbanische Kampagne sicherte zudem Slobodan Milosevic den Aufstieg zur Macht.

Für die Serben, auch das war zu lernen, hat das Kosovo eine besondere Bedeutung. Der Mythos um die verlorene Schlacht von 1389 gegen die Türken verpflichtet nach Auffassung der serbisch-orthodoxen Kirche und der Nationalisten alle Serben dazu, mit allen Mitteln das Kosovo zu verteidigen.

Weil die albanischen Bevölkerungsmehrheit das Kosovo ebenfalls als ihr Land ansieht und behauptet, ihre illyrischen Vorfahren hätten längst vor der serbischen Einwanderung dort gelebt, führte der mit historischen Argumenten geführte Streit der Nationalisten beider Seiten geradewegs in einen unlösbaren Konflikt. Die Quadratur des Kreises hätte nur mit gegenseitigem Respekt und der Achtung der Menschenrechte aller geschaffen werden können. Im sozialistischen Jugoslawien hatte dies noch Staatschef Tito versucht, indem er nach dem Terror der Fünfzigerjahre mit der Verfassung von 1974 dem Kosovo Autonomie gewährte.

Als ich 1988 und 1989 wieder ins Kosovo kam, konnte ich beobachten, wie sich die Lage änderte: Milosevic ließ Autonomie abschaffen, die albanische Sprache wurde im öffentlichen Leben verboten, und rund 130.000 Albaner wurden aus Schulen, den Staatsbetrieben und der Verwaltung herausgedrängt, so dass Anfang der Neunzigerjahre 400.000 junge Albaner in die Emigration gezwungen wurden. Kurz: Ich war Zeuge, wie in Europa ein Apartheidsystem entstand.

Unfassbar war für mich, wie so etwas Ende des 20. Jahrhunderts in Europa passieren konnte und dass zu Hause die Öffentlichkeit kaum Notiz davon nahm. Als die Albaner als Antwort auf Rechtlosigkeit und Unterdrückung einen friedlichen, pazifistischen Widerstand entwickelten, zeigten nur wenige Solidarität. Auch nicht innerhalb der Linken, die sich ja selbst als pazifistisch bezeichnete. Der albanische Pazifismus wurde dagegen in Serbien als Schwäche der Albaner interpretiert. Und nicht nur dort: Bei den Friedensverhandlungen in Dayton, die 1995 den Bosnienkrieg beendeten, waren die Albaner nicht einmal an den Katzentisch gebeten. Mit friedlichen Mitteln allein kann man nichts erreichen, lautete die Lehre, die die Albaner daraus zogen. Nur so ist der Aufstieg der Befreiungsarmee des Kosovo, der UÇK, zu verstehen.

In vielen Punkten sollte ein großer Teil der deutschen Linken der serbischen Propaganda auf den Leim gehen. Die serbischen Massaker an der Zivilbevölkerung, so am Jashari-Clan im März 1998, die Zerstörung und ethnische Säuberung der Stadt Decani im Juni, das In-Brand-Stecken von hunderten Dörfern im Sommer 1998, das mindestens 300.000 Menschen zur Flucht in die Wälder zwang, das Massaker von Orahovac im Juli 1998 - es gab dort zwar keine Massengräber, aber ein Massaker an hunderten Menschen -, später das Massaker von Racak, wurden heruntergespielt. Bei einigen führten diese Ereignisse jedoch zum Umdenken.

Wer sich etwas in die Geschichte vertiefte, konnte erfahren, dass es schon Anfang des 20. Jahrhunderts in Serbien Bestrebungen gab, die albanische Bevölkerung aus dem Kosovo zu vertreiben. Die Denkschrift von Vasa Cubrilovic, der ein systematischeres Vorgehen der Behörden im Kosovo zur Vertreibung der Albaner eingeklagt hatte, setzte sich bis 1939 tatsächlich durch. Zehntausende muslimische Albaner wurden in die Türkei und nach Albanien abgeschoben, hunderttausende hätten es sein sollen. In den Fünfzigerjahren war Cubrilovic Ratgeber des berüchtigten jugoslawischen Innenministers Jovan Rankovic. Und wieder wurden zehntausende Albaner aus dem Kosovo vertrieben, um die ethnische Zusammensetzung des Kosovo zugunsten der Serben zu verändern.

Das serbische Militär baute 1998 systematisch seine Stellungen so auf, dass es das gesamte Territorium mit seiner Artillerie erreichen konnte. Und so waren die militärischen Grundlagen geschaffen, diesen Traum zu erfüllen und die systematische Vertreibung der Albaner durchzuführen.

Kein Zweifel, es war im Interesse Europas und der USA, dem Treiben im Kosovo ein Ende bereiten. Ob bei den handelnden Politikern der Kampf gegen Menschenrechtsverletzungen im Vordergrund stand, oder die Angst vor neuen Flüchtlingsströmen, sei dahingestellt. Im Sommer 1998 begann die Nato mit dem Aufbau militärischer Strukturen, die eine Intervention und einen Krieg gegen Serbien ermöglichen sollten. Denn ein halbes Jahr ist mindestens notwendig, um die erforderliche Infrastruktur zu erstellen. Damit wurde ein Drohszenario aufgebaut, um den Forderungen nach einer politischen Lösung bei den Verhandlungen, die in Rambouillet bei Paris stattfinden sollten, militärisch Nachdruck zu verleihen.

Hätte Milosevic damals dem Vertrag zugestimmt, Serbien hätte sich viel Ungemach ersparen können. Das Kosovo wäre immer noch Teil Serbiens, hätte lediglich eine erweiterte Autonomie unter internationaler Kontrolle, nicht jedoch die Unabhängigkeit erreicht. So aber kam es zum Bombenkrieg der Nato und der Loslösung des Kosovo.

War der Krieg ein Bruch des Völkerrechts? Vielleicht. Aber dass die Verteidigung der Menschenrechte im UN-Sicherheitsrat mit zwei Vetomächten wie Russland und China gut aufgehoben ist, darf bezweifelt werden. Völkerrecht schreibt sich fort. Und die UN, auch Russland und China, haben mit ihrer Mission im Kosovo das Vorgehen der Nato stillschweigend akzeptiert.

Die internationale Intervention im Kosovo, die UN-Mission und jetzt die EU-Mission, hat immerhin erreicht, dass sich das Leben im Kosovo langsam entspannt hat. Und dass wieder Hoffnung aufkommt, obwohl Serbien noch immer versucht, ins Kosovo hineinzuregieren.

Als am 17. Februar 2008 die Unabhängigkeit des Landes ausgerufen wurde, feierten nur die Albaner. Beim letzten Besuch vor wenigen Wochen im Kosovo war zu bemerken, dass die serbische Ablehnungsfront in den südlichen Enklaven bröckelt. Vielleicht wird es ja doch noch was mit einem multiethnischen Kosovo, in dem alle, Albaner und die Minderheiten, sich gegenseitig und die Menschenrechte respektieren.

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