Humoristische Hasspredigt

Der Westen gibt im Konflikt mit „dem Islam“ klein bei? Das glaubt zumindest ein höchst besorgter Henryk M. Broder in seiner lauen Polemik „Hurra, wir kapitulieren“

Zu Zeiten Sigmund Freuds galt Hysterie als eine psychische Störung, die vor allem bei Frauen vermutet wurde. Dass auch ältere Männer nicht davor gefeit sind, zeigt Henryk M. Broder mit seinem neuen Buch: „Hurra, wir kapitulieren“. Offenbar trifft er damit aber auch die Gemütslage von vielen in unserer Gesellschaft, denn das Buch ist schon jetzt ein Bestseller.

Aber vor wem kapitulieren „wir“ eigentlich? In sieben lose verbundenen Kapiteln streift Henryk M. Broder den „Karikaturenstreit“ und den Wahlsieg der Hamas, die Atompläne des Iran und die Gewalt an deutschen Schulen, bevor er schließlich zum Phänomen der „Ehrenmorde“ kommt. Sein Fazit: An all diesen Übeln ist „der Islam“ schuld. Warum nicht auch an Schulmassakern in den USA, an gewaltverherrlichenden Computerspielen oder am Ozonloch, bleibt bislang sein Geheimnis, aber er wird es uns in seinem nächsten Buch sicher erklären.

In routinierter Manier berücksichtigt Henryk M. Broder nur das, was in seine Argumentation passt, und was nicht passt, wird eben passend gemacht. Ironischerweise geht Broder dabei genau so vor wie ein islamistischer Scharfmacher, nur eben spiegelverkehrt. Denn auch ein radikaler Islamist würde Abu Ghraib und Guantánamo, Neonazis in Mecklenburg-Vorpommern, belgische Kinderschänder und von ihren Eltern zu Tode gequälte Kinder wie „Kevin“ und „Jessica“ auflisten, um damit die Verkommenheit und Gefährlichkeit des Westens zu illustrieren. Sind ja alles Sachen, die irgendetwas mit „westlicher Kultur“ zu tun haben.

Mag sein, dass Broder manchmal richtig liegt, wenn er eine übertriebene Vorsicht beklagt, sich mit gewalttätigen Auswüchsen fremder Kulturen und dem Kult um verletzte „religiöse Gefühle“ auseinanderzusetzen. Aber diese Vorsicht ist längst einer allgemeinen Hysterie gewichen, an der er selbst nicht ganz unschuldig ist. Denn Broder behauptet allen Ernstes, die Europäer trügen mit ihrer „beschwichtigenden Haltung“ dazu bei, „die Transformation Europas in einen islamischen Kontinent zu beschleunigen“, wie es im Klappentext heißt.

Solche Thesen war man bislang nur von der extremen Rechten gewohnt. Aber da sich Henryk M. Broder gerne eine Narrenkappe aufsetzt und unterhaltsam schreiben kann, sehen viele gerne darüber hinweg. Sein Buch liest sich stellenweise amüsant, wenn auch die pseudo-entlarvende Pose auf Dauer etwas ermüdet. Doch unter der spöttischen Oberfläche tritt immer wieder die eisige Schärfe eines Glaubenskriegers hervor. So ist sein Buch denn vor allem eine humoristisch verbrämte Hasspredigt geworden.

Nun kann ja auch Polemik zuweilen aufklärerisch wirken. Aber hat Broder denn überhaupt recht damit, dass der Westen kapituliert? Plausibel ist das nicht: Die palästinensische Hamas-Regierung wird bis heute boykottiert, und die Palästinenser werden ausgehungert, weil sie die falsche Wahl getroffen haben.

Der Iran ist, im Unterschied zu Nordkorea oder Israel, noch immer weit davon entfernt, an eine Atombombe zu kommen. Die Gewalt an der Rütli-Schule in Berlin-Neukölln machte bundesweit Schlagzeilen, und Ehrenmorde werden hierzulande strafrechtlich verfolgt wie jeder andere Mord. Westliche Truppen stehen in Afghanistan und im Irak. Und selbst im Karikaturenstreit kommen die beiden Redakteure des Jyllands-Posten, deren Sichtweise Broder ausgiebig referiert, zu dem Schluss, dieser habe mit einer „Dreiviertelniederlage der Islamisten“ geendet.

Trotzdem spricht Henryk M. Broder hartnäckig von „Appeasement“, was auf die Haltung des britischen Premiers anspielt, der Hitler 1938 gegenüber der Tschechoslowakei gewähren ließ. Was folgte, war bekanntlich der Zweite Weltkrieg und der Holocaust. Man kann getrost bezweifeln, dass die gegenwärtige Lage damit adäquat beschrieben ist, und den gedankenlosen Gebrauch des Begriffs sogar für eine Verharmlosung der Nazi-Vergangenheit halten. Denn man wird das Gefühl nicht los, Henryk M. Broder könnte es schon für „Appeasement“ halten, wenn deutsche Polizisten ihre Schuhe ausziehen und ihre Hunde vor der Tür lassen, bevor sie auf bloßen Verdacht hin in einer x-beliebigen Hinterhofmoschee eine ihrer üblichen Spontanrazzien durchführen.

Aber seien wir nachsichtig: Man muss sich Henryk M. Broder als einen älteren Herrn vorstellen, der sich jeden Tag durch mehrere deutsche Zeitungen wühlt und darüber in Panik gerät. Angesichts der zuweilen alarmistischen Berichterstattung vieler deutscher Blätter braucht einen das nicht weiter wundern. Aber nach der Lektüre seiner seitenlangen Suada möchte man Broder doch gerne sanft bei der Hand nehmen und empfehlen, einfach mal raus an die frische Luft und unter normale Leute zu gehen – vielleicht sogar nach Kreuzberg oder in einen anderen Einwandererbezirk. Möglicherweise stellte er dann fest, dass die Welt da draußen gar nicht so schlimm ist. DANIEL BAX

Henryk M. Broder: „Hurra, wir kapitulieren. Von der Lust am Einknicken“. wjs Verlag, Berlin 2006, 168 Seiten, 16 Euro