Der Verstärker als Messias

Beim Abend „Code Black“ im Club Transmediale traten Burial Chamber Trio und Jazkamer auf. Die Meister des neueren Death, Black und Drone Metal spielten sich in fantastischer Idiotie in den Orkus

VON KIRSTEN RIESSELMANN

Da hat es also wieder bum gemacht. In der Maria, am Sonntag, bei dem einen Club Transmediale-Traditionsabend, der sich alljährlich vornimmt, einige der mauerschleifendsten und wahnwitzigsten Derivate von Metal auf die Bühne zu bringen. Und um das schon mal vorwegzuschicken: Operation heuer gelungen.

Da gab es zunächst den Auftritt des Burial Chamber Trio, einer Art All-Star-Band des dunklen Avant-Metal. Obwohl „Auftreten“ eigentlich das falsche Wort ist für die ephemere Erscheinung dreier Gestalten in blauen Kunstnebelschleiern. Der australische Elektroniker Oren Ambarchi produzierte ein Fiepsbrummen, das er einer mit Acid-Smiley-gelbem Totenkopf beklebten Gitarre entlockte.

Die wirklich dunklen Granden tauchten erst dann aus dem Nebel auf: zum einen Drone-Meister Greg Anderson, Gitarrist der kalifornischen Kuttenträger-Combo Sunn O))), der seine schwarzen Locken diesmal offen trug, sein Instrument ansonsten aber altbewährt durch irrwitzig laute und trotz ihrer Brachialität meditative Feedbackschlaufen schwang. Zum anderen materialisierte sich der ungarische Extremvokalist Attila Csihar. Der hat schon 1994 auf dem berühmtesten Black-Metal-Album aller Zeiten geröhrt – von „De Mysteriis Dom Satanas“ der norwegischen Band Mayhem. Nach Selbstmorden und Morden sind heute längst nicht mehr alle Gründungsmitglieder übrig.

Diesem Kontext folgend, kam Attila Csihar ein wenig kostümiert: Sein Oberkörper steckte in einem Kartoffelsack, seine Füße in schwarzen Raverplateauschuhen mit vielen kleinen Gummiteufelshörnchen, sein Kopf war mit einer wasserstoffblonden Damenperücke behängt, und das Gesicht hatte er sich zur Totenkopfmaske zurechtgeschminkt. Wie eine Made wand er sich in seinem Sack und gab die Inkarnation der zerquälten Kreatur, wahlweise in Gestalt einer Marilyn-Monroe-Wiedergängerin oder eines nicht zur Gänze von den Toten auferstandenen Jesus. Zusätzlich zu seinem unterirdisch gerülpsten Bass komplettierten Zisch- und Heullaute seine Bemühungen um die Verstimmlichung der bodenlosen Gemeinheit der Weltläufte.

Während man zuhörte, irgendwann unter Einsatz der vom Sicherheitspersonal verteilten Ohrstöpsel, schlackerten die Hosenbeine im Dezibel-Assault, verlor der Herzschlag sein Eigentempo und drückten sich die Magensäfte die Kehle hoch. Warum nur steht man vor einer Bühne, von der Lautstärke in ausweglosen Bann genommen, während Männer mit brutaler Ernsthaftigkeit alles tun, um eine derart obskure Signifikanz zu beschwören? Es liegt wohl genau daran, an den Hosenbeinen, dem Herzschmerz und dem Kotzreiz. Daran, einer bedingungslosen Musik ausgesetzt zu sein, an der Grenze zwischen körperlich Ertragbarem, Psychoaktivität und inszenierter Lächerlichkeit. Kurz vor Schluss trug Anderson auf jeden Fall eine Gasmaske und Ambarchi eine Sturmhaube, während Csihar andeutete, sich selbst die Augen auszukratzen.

Aber es wurde noch lustiger. Jazkamer, eigentlich norwegisches Noise-Duo, kamen als „Metal Music Machine“ mit ein paar zusätzlichen Jungs, zwei Drummern und zwei Gitarristen von anderen Black und Death Metal Bands. Auch wenn die teilweise ganz erstaunlich so aussahen wie reizend niedliche Indie-Boys, fabrizierten sie trotzdem ultimative Lautstärke und ultimative Schnelligkeit. Brett, Brett, Brett, Double-Bass, Double-Bass, Double-Bass, der Verstärker als Messias.

Und dann machte der erste Gitarrist seine Gitarre kaputt. Und dann der zweite. Und dann warf Lasse Marhaug, der Chefelektroniker, auf den ganzen Gitarrenhaufen einen Felsbrocken. Und noch mal. Die Übersteuerungen schrien, und die Rückkopplungen kreischten, und die Jungs schraubten hundsfottig an ihren Knöpfen und trampelten auf ihre Verzerrer, und Marhaug zerhaute an dem Felsbrocken die Gitarren in immer kleinere Stücke. Irgendwann war der ganze Rock ’n’ Roll auf seinen kleinsten gemeinsamen Nenner gebracht, einen steinzeitlichen Müllberg aus Idiotie im Krachgewand. Da war das Konzert aus. Groß.