Wenn man die Natur zu einfach denkt

UMWELTSCHUTZ Ist grüne Bioenergie totalitär? Der Praktiker Franz-Theo Gottwald und die Journalistin Anita Krätzer reiten in ihrem neuen Buch eine massive Attacke gegen die „Bioökonomie“

Darf die Natur einen Preis haben? Und sind Bioenergie, Biokunststoffe, grüne Gentechnik oder synthetische Biologie eine Chance oder eine Gefahr für Ökologie, Welternährung und langfristige Bodenfruchtbarkeit? Das neue Buch von Franz-Theo Gottwald und Anita Krätzer „Irrweg Bioökonomie“ enthält eine massive Attacke gegen die Bioökonomie.

Gottwald und Krätzer nehmen das Bemühen in Politik und Unternehmen um eine Stärkung der Bioökonomie als einen „totalitären Ansatz“ wahr. Im Interesse einzelner Industrie-Oligopole werde die Werbetrommel gerührt, obwohl etwa grüne Gentechnik und Bioenergie statt ökologischerer Landnutzung die menschliche Naturinanspruchnahme noch weiter steigerten. Der Umweltschutz und die Eigenrechte der Natur kämen dabei unter die Räder.

Trotz vieler guter Ideen landet in dem Buch zuweilen zu viel in einem Topf. Sicherlich sind Bioenergie und Biokunststoffe nicht frei von Problemen, weil es etwa bei der Bioenergie viele ökologisch zweifelhafte Varianten gibt und weil beide mit der globalen Nahrungsversorgung konkurrieren können. Dennoch ist eine Abkehr von den endlichen fossilen Brennstoffen bei Strom, Wärme, Treibstoff, Kunstdünger und Kunststoffen nötig. Und damit auch ein wirksamer Klimaschutz, der in dem Buch fast gar nicht vorkommt.

Gottwald und Krätzer können zwar zu Recht sagen: Auch nachwachsende Ressourcen und Energien sind nicht unendlich. Vielleicht müssen wir auch mal etwas bleiben lassen. Also Verhaltensänderungen praktizieren, von manchen unreflektiert auch Verzicht genannt. Dennoch bleiben nachwachsende Energien wichtig. Allein Wind und Sonne reichen nicht. Das Buch verschweigt auch, dass Verhaltensänderungen – anders als Technik – den wirtschaftlichen Umsatz reduzieren und uns deshalb in eine Postwachstumsgesellschaft führen könnten. Mit Folgen etwa für Arbeitsmarkt und Rentensystem. Solche Probleme sollte man klar ansprechen. Ebenso wie den Fakt, dass eine tiergerechte und ökologische Landwirtschaft ihren Preis hat.

Das Buch erweckt zudem den unterschwelligen Eindruck, früher seien Essen und Leben per se natürlicher und gesünder gewesen. Aber das stimmt nicht: Im Mittelalter wurden mangels Wohlstand verdorbene und zudem extrem einseitige Lebensmittel standardmäßig gegessen, und das war keinesfalls gesund. Auch die Ideengeschichte des Umgangs mit der Natur ist also komplexer, als es das Buch zeigt. Es bewegt sich teils in der Nähe einer konservativen Kritik an Aufklärung und Moderne, ohne deren seit Jahrhunderten autoritäre, zuweilen gar totalitäre Tendenzen zu problematisieren.

Auch die ethische Idee eines vom Menschen unabhängigen Eigenwertes der Natur ist weniger einleuchtend, als das Buch suggeriert. Denn einem Schutz der Natur um ihrer selbst willen fehlt der Bezugspunkt. Wenn man nicht sagt, dass man etwas im Interesse des Menschen schützt, ist völlig unklar, welche Teile der Natur in welchem Entwicklungsstadium und zu welcher Zeit man überhaupt schützen sollte. Natur ist nämlich nicht statisch, sondern verändert sich ständig. Man braucht die These vom Eigenwert der Natur auch nicht für eine ethische und rechtliche Umweltschutzbegründung. Denn so ziemlich alles an der Umwelt ist auch für den Menschen relevant aufgrund der komplexen ökosystemaren Zusammenhänge.

Dass überhaupt mit Natur und ihren Produkten gehandelt und Gewinn gemacht wird, war übrigens schon immer so. Man kann daraus sogar hervorragend Politik machen: Verteuert man die Naturinanspruchnahme gezielt, etwa durch höhere Abgaben auf Grund und Boden, wird die Natur aufgrund eines Preisanreizes stärker geschont.

FELIX EKARDT

Franz-Theo Gottwald, Anita Krätzer: „Irrweg Bioökonomie. Kritik an einem totalitären Ansatz“. Suhrkamp, Berlin 2014, 175 Seiten, 14 Euro