Die amtliche Lüge vom prima Klima

von BERNHARD PÖTTER

Die Bundeskanzlerin sprach wie die Umweltministerin, die sie einmal war: „Im Jahr 2020 wird es keinen Gletscher mehr auf der Zugspitze geben!“, rief Angela Merkel auf dem Dresdener CDU-Parteitag im November den Delegierten zu. „Wer heute in der Uckermark Bäume pflanzt, weiß nicht, ob die Eiche dort in 50 Jahren noch gedeihen wird. Manch einer will das nicht wahrhaben“, mahnte Merkel, „aber es ist so.“

Manch einer, der das nicht wahrhaben will, sitzt im Ministerium von Merkels Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU). Ebenfalls im November traf die interne Stellungnahme dieses Ministeriums zum aktuellen Bericht des UN- Klimagremiums IPCC im Umweltministerium ein. Sie widerspricht den Ergebnissen, die unter dem Dach des IPCC hunderte von Klimaforschern seit Jahren zusammengetragen haben, um sie ab heute in Paris zu diskutieren. Konsens der Forscher: Die globale Erwärmung ist ohne Beispiel in den letzten 10.000 Jahren – das Wirtschaftsministerium widerspricht: „Das Klimasystem erwärmt sich nur regional“, heißt es in der Stellungnahme aus dem Hause Glos. Die Gletscher schmelzen global so schnell wie nie? „Ereignete sich wiederholt in ähnlicher Weise ohne industrielle Treibhausgase“, heißt es. „Wir wissen nicht, ob es überhaupt einen Eisverlust gibt“, moniert das Schreiben, „die Prozesse, die das globale Klima beeinflussen, sind nur unvollkommen verstanden“. Fazit der Behörde: „Die Zusammenfassung des Berichts stellt nicht die wissenschaftliche Basis der klimabezogenen Themen dar.“

„Peinlich für die Regierung“

Unter deutschen Klimaforschern verursacht das Schreiben Kopfschütteln. In einem vertraulichen Dossier kommentiert etwa das Umweltbundesamt (UBA) die Bemerkungen als „irrelevant“, „eindeutig falsch“, „anmaßend“ oder „fernab jeder Realität“. „Große Teile der Kommentare sind regelrecht peinlich für die Bundesregierung. Wenn die Übermittlung in dieser Weise an IPCC erfolgt, müsste eigentlich gleichzeitig eine Entschuldigung erfolgen.“

Dem Sprecher des Wirtschaftsministeriums sei nicht bekannt, dass es aus seinem Haus eine solche umstrittene Stellungnahme gibt, heißt es auf Anfrage. Im Fachreferat IV C 2 „Klimapolitik/Internationale Umweltpolitik“ kennt man die Kommentare dagegen sehr genau. Sie stammen aus der „Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe“ (BGR) in Hannover, einer nachgeordneten Behörde, die mit rund 50 Millionen Euro ausgestattet ist. Das Wirtschaftsministerium beauftragt die Anstalt regelmäßig mit Stellungnahmen zur Klimapolitik. Die Behörde sei schließlich „eine anerkannte Institution auch beim Thema Klimawandel“.

Da widerspricht der offizielle Klimaberater der Bundesregierung: „Die Meinung der BGR ist randständig, und die Behörde spielt keine Rolle in der internationalen Klimadiskussion“, sagt Hans Joachim Schellnhuber, Leiter des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK). Er wolle mit Wirtschaftsminister Glos darüber reden, „von wem sich sein Ministerium beraten lässt, und ihm den neuesten Stand der Klimaforschung erläutern“. Er schlägt eine Anhörung vor, wo „meinetwegen auch die BGR ihre Ansicht vertreten darf“. Die Bundeskanzlerin habe er dabei fest an seiner Seite.

„Unser Ziel ist das gleiche wie das der Klimaschützer“, beteuert Georg Delisle, Referatsleiter für Potenzialmethoden in den marinen Geowissenschaften bei der BGR und einer der Autoren der umstrittenen Kommentare. „Wir finden nur, das Energiesparen sollte eher mit der Verknappung der Ressourcen begründet werden und weniger mit einer möglicherweise drohenden Klimakatastrophe.“ Die Datenbasis des IPCC-Berichts sei im „Groben und Ganzen unbestritten“, doch die BGR ziehe eben andere Schlüsse daraus als die „Klimakatastrophenwissenschaftler“, die in ihren Modellen immer noch „sehr große Fehlermargen“ hätten und ihre Resultate oft „wissenschaftlich einseitig begründen“. Sich selbst und seine Kollegen hält Delisle als Geologen für genauso qualifiziert wie die Mehrheit von Meteorologen, Ozeanografen und Klimawissenschaftlern, die die Debatte dominieren. Wegen ihrer „abweichenden, sehr differenzierten Meinung“ sei die BGR schon öfter aus den Diskussionen ausgegrenzt worden.

Diesen Vorwurf weisen die Klimaforscher vehement zurück: Die BGR werde nicht ausgegrenzt, sondern spiele einfach fachlich keine Rolle, weil sie ihre Thesen in der Fachwelt nicht ordentlich zur Diskussion stelle. „Wenn die BGR publizieren würde, dass es in den letzten 10.000 Jahren schon einmal global wärmer war, dann wäre das prima“, meint ein renommierter Klimaforscher, „man könnte fachlich darüber diskutieren, und das würde auch im IPCC-Bericht besprochen. Aber nicht publizieren und dann hinterher unbelegte Behauptungen in die Welt setzen, das gilt nicht.“

„Die Mehrheit muss in der Wissenschaft nicht recht haben“, meint Georg Delisle. Das ist auch der Tenor der gesamten Szene von „Klimaskeptikern“ in Deutschland. Eine kleine, aber lautstarke Gruppe von Wissenschaftlern (darunter aber keine Klimatologen), Ingenieuren, Lehrern oder auch nur Schlaumeiern im Internet bestreitet mit teilweise abstrusen Begründungen, gefälschten oder veralteten Daten und einer gehörigen Portion Wut auf die etablierte Wissenschaft den inzwischen fast einhelligen Konsens zum Klimawandel. Für diese „Leugner“ gibt es entweder gar keine Erwärmung der Erde, oder sie ist nicht vom Menschen verursacht oder einfach unschädlich. Vor allem aber, so heißt es immer wieder, sei alles noch unsicher. Das IPCC kommt zum genau gegenteiligen Schluss.

Anders als in den USA lässt sich bei den deutschen Leugnern nicht erkennen, dass sie systematisch von der Wirtschaft bezahlt werden. Sie nutzen aber die Argumente der US-Klimaskeptiker, die von der Industrie bezahlt werden, wie gerade eine aktuelle Studie der Union of Concerned Scientists am Beispiel des Ölmultis Exxon zeigt. So zeigt an der Fachhochschule Aachen der Honorarprofessor Helmut Alt den angehenden Energietechnikern eine Klimakurve, die alle seriösen Klimawissenschaftler als falsch betrachten. Alt gibt zu, sich „aus vielen Quellen“ zu bedienen, neben der BGR auch vom Klimaskeptiker Hans-Georg Beck und seiner Homepage „biokurs.de“. Alt bezweifelt, dass CO2 für die globale Erwärmung verantwortlich ist. Vielleicht liegt das daran, dass er über Jahrzehnte beim Stein- und Braunkohleriesen RWE in Düren gearbeitet hat. Christian-Dietrich Schönwiese jedenfalls, Meteorologe und Klimaforscher an der Uni Frankfurt, sieht als Hauptmotiv der Leugner, „Klimaschutzmaßnahmen zu verhindern, die teuer für die Industrie wären“.

Überblick über die Szene der deutschen „Klimaskeptiker“ gibt eine interne Liste, die von den seriösen Klimaforschern erstellt wurde. Auf ihr stehen 31 Namen. Neben Alt finden sich dort auch der Geologe Ulrich Berner von der BGR und ein Physikprofessor der Universität Braunschweig, Gerhard Gerlich, wieder, außerdem viele in der Wissenschaft unbekannte Autoren. Die „vertrauliche“ Liste weist darauf hin, dass es sich „in der Regel um Laien handelt, die nicht selten mit den einfachsten fachlichen Grundtatsachen in Konflikt stehen“. In der Fachliteratur träten sie nicht auf und sie zeigten sich „allgemein als völlig uneinsichtig“.

Hochglanz statt Seriosität

„Die Klimaleugner spielen in der Wissenschaft eigentlich keine Rolle mehr“, sagt der Klimaforscher Hans von Storch vom Meteorologischen Institut der Universität Hamburg. Doch die Leugnerszene hat sich inzwischen aus der Forschung in die Hörsäle und Klassenzimmer verlagert: So legt ausgerechnet der Lehrstuhl für Didaktik der Physik an der Universität Würzburg auf seiner Homepage einen prominenten Link zur Leugner-Website „schulphysik.de“. Mindestens 12 Schulen und Einrichtungen der Lehrerfortbildung sind mit den Websites der Leugner verlinkt oder beziehen von dort Material für den Schulunterricht. Ein besonderer Coup gelang den Skeptikern im Februar 2003 bei einer Zielgruppe, die angeblich grundsätzlich kritisch ist: Dem journalist, Mitgliedermagazin des Deutschen Journalistenverbandes (DJV), wurde das klimaskeptische Themenheft „Klimadiskussion im Spannungsfeld“ beigelegt – Herausgeber: der Bundesverband Braunkohle.

Statt wissenschaftlicher Aufsätze nutzen die Skeptiker offiziöse Broschüren mit leichtverständlichen Texten. So behauptet das Heft geostandpunkt der BGR von 2004, die gegenwärtigen Temperaturen seien mit denen von 1.000 n. Chr. vergleichbar – obwohl IPCC und Fachliteratur eindeutig etwas anderes aussagen. Auch den menschlichen Einfluss, vom IPCC eindeutig bejaht, nennt die Broschüre „nicht eindeutig geklärt“.

Schon 2002 hatte der Potsdamer Klimaforscher Stefan Rahmstorf in einem Artikel in der Zeit das klimaskeptische Buch „Klimafakten“ des BGR-Wissenschaftlers Ulrich Berner kritisiert: Berner zeige veraltete und längst widerlegte Kurven, überbewerte die Aktivität der Sonne und verwirre Laien durch irreführende Zahlen und Argumente. „Es ist unverantwortlich“, so Rahmstorf über Berner, „in der Öffentlichkeit durch Weglassen von Fakten bewusst einen falschen Eindruck zu erwecken. Es ist ebenso unverantwortlich, voller Überzeugung Theorien zu vertreten, die nicht einmal durch wissenschaftliche Fachpublikationen gedeckt sind und die keiner kritischen Diskussion unter Kollegen unterworfen sind.“

Zumindest diesen Punkt wird Berner bald nachbessern können: Für die IPCC-Sitzung ist der Klimaskeptiker in Diensten des Bundeswirtschaftsministeriums als Mitglied der deutschen Delegation angemeldet.