Der Chronik eines Trauerspiels

Eine Geheimredaktion übernimmt die Münstersche Zeitung. Nur der Karnevalsredakteur bleibt – für weniger Geld

MÜNSTER taz ■ Klassischer geht‘s nimmer: Münsters Städtische Bühnen spielen Schillers „Kabale und Liebe“. Wer sich eher für moderne Trauerspiele interessiert, muss sich nur mit der Münsterschen Zeitung (MZ) im Pressehaus nebenan beschäftigten. Finten, Intrigen und Verrat gehören beim Medienhaus Lensing-Wolff spätestens seit dem Spätherbst vergangenen Jahres zum Alltagsgeschäft. Der vorläufig letzte Akt dauerte nur zehn Minuten.

Verlagsleiter Lutz Schumacher erklärte kurz nach der Fertigstellung der Samstagsausgabe 19 langjährigen MitarbeiterInnen, dass sie vom „vom Dienst freigestellt“ seien. Die Diensthandys sind seitdem stumm, nicht einmal private Habseligkeiten durften mitgenommen werden.

Trotzdem lag auch in der MZ-Montagsausgabe ein Münster-Teil. Produziert von neuen Newsdesk-Journalisten im innerstädtischen Pressehaus. Aus dem wurde die Altredaktion unter dem Vorwand von Renovierungsarbeiten im Spätherbst vertrieben. Sämtliche Schlüssel und Chipkarten mussten dem Verlag zurückgegeben werden. Seitdem produzierten die 19 Mitarbeiter die Lokalseiten aus dem abgelegenen Druckhaus. Die neue Bleibe erhielt schnell den Beinamen „Alcatraz“. Selbst in der Damenumkleide wurden eifrig Artikel geschrieben.

Das parallel im Pressehaus nicht nur Handwerker, sondern auch Journalisten ihre Arbeit verrichten, war trotz der vom Medienhaus Lensing-Wolff auferlegten Kontaktsperre ein offenes Geheimnis. Hauptaufgabe des neuen Teams um Stefan Bergmann, früher Pressesprecher der Bezirksregierung Münster: Aufbau eines Newsdesk-Systems zur zentralen Produktion der Lokalseiten. Mit Gehaltskürzungen, sogar mit vereinzelten Kündigungen hatte Werner Hinse, Vorsitzender des Pressevereins Münster- Münsterland, daher gerechnet. Der Rausschmiss einer kompletten Lokalredaktion übertraf seine schlimmsten Befürchtungen. „Damit konnte keiner rechnen“, sagte Hinse, der sofort mit Frank Biermann von der Deutschen Journalisten-Union arbeitsrechtliche Beratung gab. Gerichtliche Schritte sind allerdings noch nicht möglich, da die Altredaktion lediglich „freigestellt“ und nicht gekündigt ist. Möglich macht dies ein undurchdringliches Gesellschaftsgewirr innerhalb des Medienhauses Lensing-Wolff. Verlagsleiter Lutz Schumacher übertrug einfach den Auftrag zur Produktion der Lokalseiten der neuen Tochterfirma Media Service GmbH. „Ein Verleger entzieht sich selbst den Auftrag, um tariflich bezahlte Mitarbeiter loszuwerden“, kritisiert Biermann diese Praxis. „Wenn dieser Einzelfall Schule macht, dann sind Journalisten vor überhaupt nichts mehr sicher.“ Der DJV veranstaltet am Samstag ab 10 Uhr auf dem Wochenmarkt am Münsteraner Dom eine Protestaktion.

Ob die Newsdesk-Journalisten nach Tarif bezahlt werden, verrät der neue Chefredakteur Bergmann nicht. Lediglich die Gummiphrase „wir zahlen keine Dumpinglöhne“ ist ihm zu entlocken. Der erste wiedereingestellte Redakteur musste allerdings schon ordentlichen Einkommenseinbußen zustimmen. Ganz auf ihn verzichten konnte Bergmann jedoch nicht. Der Mann ist Karnevalsspezialist. Und bei der Berichterstattung zum närrischen Treiben versteht man in Münster keinen Spaß.

RALF GÖTZE