Gesammelte Spuren

DESIGN VON NEBENAN (II) Der Hamburger Möbelbauer Tom Thiel bewegt sich im Grenzbereich zwischen Design und Kunst. Er fertigt aus alten Holzteilen Möbel, die mit Gebrauchsspuren und Geschichte aufgeladen sind

VON LENA KAISER

Stücke einer alten Parkbank, Kanthölzer aus dem Hamburger Hafen, ein Eichenteil der Steganlage am Fischmarkt und Edelhölzer aus dem Innenausbau der mittlerweile abgerissenen Gebäude eines ehemaligen Krankenhauses – das sind die Ingredienzien eines Schranks mit A-förmigem Untergestell. Die Möbel, die Tom Thiel in seinem Atelier in Hamburg Hammerbrook herstellt, sind aufgeladen mit Geschichten. Das Material stand schon einmal in einem Gebrauchszusammenhang.

„Und dadurch, dass ich dieses Material wieder in eine funktionale Form übersetze, geht die Aufladung weiter“, sagt Thiel. Dazu gibt es für ihn viele Parallelen in der Kunst- und Kulturgeschichte, vieles hat mit Gebrauch und Patina zu tun. So ist es etwa bei afrikanischen Kultobjekten, die um so wertvoller werden, je öfter sie benutzt worden sind. Und in Japan gibt es für das, was hierzulande manchmal schnoddrig als Shabby Chic bezeichnet wird, sogar einen eigenen Begriff – wabi sabi –, der mit philosophisch-religiöser Weltanschauung durchtränkt ist.

Mit seinen Möbeln aus gelebtem Holz bewegt sich Thiel im Grenzbereich zwischen Kunst und Design. Und so kommt es vor, dass Galeristen ihn zu Möbelhändlern und Möbelhändler ihn zurück zu Galeristen schicken. Weil die Möbel den Anforderungen des täglichen Gebrauchs entsprechen müssen, spielt der Designaspekt eine wichtige Rolle. Durch Funktionalität bekommen die Objekte weitere Gebrauchsspuren. „Erst durch meine Arbeitsspuren“, so Thiel, „und dann durch die Patina der späteren Benutzer.“ Bei autonomen Kunstwerken gehe dieses Konzept nicht auf, sie würden in diesem Fall zum Restaurator getragen. Genau das Ansammeln von Gebrauchsspuren ist bei den Arbeiten aus gelebtem Holz aber erwünscht. Und so liegt es nahe, dass sich Thiel, der Kunst und Architektur studierte, entschieden hat, im Alltag benutzbare Kunst herzustellen.

Eher beiläufig kam ihm die Idee dazu. Weil er in seinen Ateliers früher mit Öfen heizte, hatte er immer Holz vorrätig, das er auf der Straße fand. Als er einmal einen Badezimmerschrank brauchte, baute er sich den aus den Brettern einer alten Parkbank. Dann bemerkte er, dass das dem roten Faden folgte, der sich schon früher durch seine anderen Arbeiten zog: die Beschäftigung mit den Themen Energie, Spannung und Aufladung.

Thiel weiß, woher er sein Ausgangsmaterial bekommt: die ganze Stadt ist voll davon. Das Holz findet er auch heute noch auf der Straße, beim Abriss von Häusern und in Schuttcontainern. Mit dem Altholz hat er dann aber viel Arbeit: Nägel müssen entfernt, alte Farbschichten abgeschliffen werden. Dann macht er das Holz so zurecht, dass er es durch die Säge schieben kann. Die ausgewählten Holzstücke legt er auf eine Richtbank, richtet sie gerade aus, zwingt sie zusammen und verleimt sie. Am Ende kostet das gelebte Holz mehr als ein Edelholz im Holzhandel. „Dafür bekomme ich aber auch eine Anmutung, die anders nicht herzustellen ist“, sagt Thiel.

Die Tafeln, die starke Höhenunterschiede haben, modelliert er dann mit einer freihändigen Fräse und einer Schleifmaschine. Schließlich setzt Thiel die einzelnen Stücke so zusammen, dass die Möbelstücke leicht reparierbar sind und lange halten können.

Ein gewichtiges Problem mit gelebtem Holz hat Thiel allerdings noch nicht in den Griff bekommen: „Es gibt wenige Leute, die dafür einen Sinn haben“, sagt er. „Hauptsächlich sind es diejenigen, die wenig Geld haben und die sich meine Sachen eigentlich nicht leisten können.“ Und so kommt es schon mal vor, dass Leute ihre Möbel in kleinen Raten abzahlen.

Weil jedes Möbelstück ein Unikat ist, variieren die Preise, je nach Material und Arbeitsaufwand. Bei kleinen Visitenkartenschächtelchen liegt er etwa bei 25 Euro, Obstschalen und kleine Kästchen gibt es ab 150 Euro und Kleinmöbel ab 450 Euro. Darüber hinaus macht Thiel auch Systemmöbel, doch der Schwerpunkt liegt bei kleinen Schrankskulpturen und Esstischen. Zu haben sind Thiels Möbel aus gelebtem Holz in seinem Atelier und über Händler.

Infos: www.gelebtesholz.de