Der Unfügsame

Er war einer der besten und gutmütigsten Menschen, denen ich begegnet bin“, schrieb, ausgerechnet, Ernst Jünger in seinem Tagebuch. Das war 1949 und Erich Mühsam schon lange tot, „auf so schauerliche Weise“ umgebracht: Noch in der Nacht des Reichstagsbrands wurde er verhaftet und während der folgenden Monate in Gefängnissen und Lagern brutal misshandelt. Am 6. Juli bekam Mühsam nahegelegt, binnen drei Tagen Selbstmord zu begehen. Das kam Mühsam nicht in den Sinn. „Sich fügen heißt lügen“, hatte er schon 1919 gedichtet. Es sollte wie ein Selbstmord aussehen, als sie ihn vor 80 Jahren, am Morgen des 10. Juli in der Latrine aufknüpften.

Dass Mühsam nach der Machtübernahme der Nazis in Lebensgefahr schwebte, war seinen Freunden sofort klar: Der Anarchist, Schriftsteller, Räterevolutionär und Jude hatte als einer der ersten vor dem Faschismus gewarnt. Er selbst unterschätzte die Gefahr und entschied sich zu spät zur Flucht.

1878 in Berlin geboren und in Lübeck aufgewachsen, zog Mühsam 1909 nach München, agitierte für die anarchistische Revolution, plädierte für freie Liebe und freundete sich mit Heinrich Mann, Frank Wedekind, Franziska zu Reventlow und Lion Feuchtwanger an. Zu Beginn des Ersten Weltkriegs ließ er sich von der Euphorie der allgemeinen Mobilmachung mitreißen, korrigierte sich aber bald und schmiedete Allianzen mit den zarten pazifistischen Kräften.

Nach dem Krieg wollte er nach der Monarchie auch das beseitigen, was in seinen Augen die Ursache für den Krieg war: den Kapitalismus. Kurze Zeit war er in der KPD und unterstützte die Räterepublik. Vom Anarchismus rückte er nie ab, weshalb er weder für das DDR-Establishment noch für den BRD-Kulturbetrieb sonderlich verwertbar war.

Dabei lohnt es sich, ihn zu lesen, nicht nur sein „Lied vom Revoluzzer“. Immerhin: Die Edition seiner Tagebücher und ein Album der Hamburger Punk-Band Slime mit vertonten Mühsam-Gedichten sorgten zuletzt für ein kleines Revival.  ANDREAS SCHNELL