Russland will Erdöl über die Ostsee leiten

„Diversifizierung der Transportwege“ nennt Moskau seine Pläne: Hafenkapazität wird für 450 Fahrten ausgebaut

BERLIN taz ■ Gerade jetzt, in diesem Moment sind 1.800 Schiffe auf der Ostsee unterwegs. Zumindest statistisch: Nach Erhebungen der Helsinki-Kommission durchqueren 65.000 Frachter, Fähren, Tanker pro Jahr die Ostsee – so viel wie sonst auf keinem Binnenmeer der Welt. Jetzt sollen es noch mehr werden: Statt durch die Druschba-Pipeline will Russland große Teile des für Westeuropa bestimmten Öls künftig per Tanker transportieren. Meeres- und Schifffahrtsexperten sind besorgt.

Im Rahmen der „Diversifizierung der Transportwege“ soll das Öl im russischen Ostseehafen Primorsk umgeleitet werden, sagte der stellvertretende russische Wirtschaftsminister Andrej Scharonow der Berliner Zeitung. Dafür solle die Kapazität des nördlich von St. Petersburg gelegenen Hafens um 45 Millionen Tonnen auf 120 Millionen Tonnen jährlich ausgebaut werden. Das sei die Hälfte der durch Weißrussland laufenden Transitmenge, so der Minister. Durch die stärkere Nutzung von Tankern will Russland Lieferprobleme nach Europa verringern, wie sie jüngst während des Streits mit Weißrussland aufgetreten sind. Die Pipline Druschba wurde für mehrere Tage stillgelegt, sodass in der Raffinerie in Schwedt kein Öl mehr ankam.

Wird Primorsk wie angekündigt ausgebaut, würde das etwa 450 Tanker-Fahrten zusätzlich pro Jahr bedeuten, sagt Jochen Lamp, Ostsee-Experte bei der Umweltschutzorganisation WWF. Dabei führen schon jetzt jährlich 750 Tanker von Primorsk durch die Kadetrinne Richtung Westen. Das stark befahrene Seegebiet in der Mecklenburger Bucht gilt als eines der schwierigsten Gewässer der gesamten Ostsee. 17 Meter ist das Fahrwasser tief, die größten Tanker haben einen Tiefgang von 15 Metern. „Da ist nicht mehr viel Wasser unter dem Kiel“, verweist Lamp auf die wachsende Havariegefahr. Erst am Montag war vor der Küste Lettlands der Frachter „Golden Sky“ mit Dünger und 500 Tonnen Öl an Bord auf Grund gelaufen.

151 Schiffsunfälle zählte der WWF 2005, von 2000 bis 2003 waren es im Schnitt nur 60 pro Jahr. Die wenigsten russischen Tanker seien mit sicheren Doppelwänden ausgerüstet, sagt Götz von Rohr, Professor und Schifffahrtsexperte an der Universität Kiel. Damit wächst die Gefahr einer Ölpest im ökologisch höchst sensiblen Gewässer.

Auch ohne Unfälle belaste der enorme Schiffsverkehr die Ostsee, sagt von Rohr. Einer der Gründe: Die Schiffsmotoren laufen mit „Bunker-C-Öl“. Das ist besonders billig – und besonders schmutzig. Der bei der Verbrennung anfallende Ruß sinkt aufs Meer und klumpt sich dort zusammen. Fünf Prozent des Öls bleiben als Schlamm im Kessel zurück – und werden beiläufig illegal ins Meer gekippt.

All diese Probleme verschärfen sich mit den sowieso schon steigenden Schiffsfrachtraten. Den von Russland angekündigten Hafenausbau könne die Ostsee „nicht mehr verkraften“, sagt Lamp. Deshalb fordert er weitere Schutzmaßnahmen: Ausbau der Lotsenpflicht, besondere Routen für gefährliche Frachter, Schiffstabus für sensible Gebiete. Außerdem müsse Russland dem sogenannten PSSA-Abkommen beitreten: Diese verlieh der Ostsee 2006 den Schutz eines „besonders empfindlichen Meeresgebietes“. STEPHAN KOSCH