Die Kleinsten werden schlecht betreut

MANGEL In Hamburgs Krippen ist der Erzieher-Kind-Schüssel deutlich zu niedrig, sagt eine Studie. Nötig wären 4.000 weitere Fachkräfte. Der Landeselternausschuss ist über die Zahlen schockiert

„Im Krankheitsfall ist schon mal eine Erzieherin mit zwölf Kleinkindern allein“

Kita-Leiterin Maren Tilge

Immer mehr Eltern sind berufstätig und geben ihr Kind schon in jungen Jahren in die Krippe. Doch die Personalschlüssel für die null- bis dreijährigen Kinder seien „miserabel“, sagte die Bildungsforscherin Susanne Viernickel von der Berliner Alice Salomon Hochschule. Wissenschaftlicher Standard sei die Betreuung von 1:4. Real liege der Schlüssel in Hamburg bei 1:7,6.

Viernickel führte für ihre Studie „Schlüssel für gute Bildung“ unter 300 Kitas eine Online-Befragung durch. Im Ergebnis bestätigt sie eine Berechnung, die bereits die Arbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege (AGFW) angestellt hat. Statistisch stellt Hamburg eine Fachkraft je 5,7 betreute Babys und Kleinstkinder da. Dabei sind Urlaub, Krankheit und Fortbildung jedoch nicht eingerechnet. Hierfür fehlten 25 Prozent Personal, sagt der AGFW-Vorsitzende Jens Stappenbeck. Im Krankheitsfall sei schon mal eine Erzieherin mit zwölf Kleinkindern allein, so Kita-Leiterin Maren Tilge. Dann müsse man Personal von älteren Kindern abziehen.

„Wir sind über diese Zahlen sehr erschrocken“, sagt Thorsten Peters vom Landeselternausschuss (LEA). „Zwei Erzieher auf 15 Krippenkinder, wie soll das funktionieren?“ Werde hier nicht nachgebessert, entwickele sich Hamburg zur kinderfeindlichen Stadt.

Die AGFW verhandelt derzeit mit dem Senat über einen neuen „Landesrahmenvertrag“. Nötig, um den 1:4-Schlüssel zu erreichen, seien 4.000 Fachkräfte, sagte Stappenbeck. Weil das nicht realistisch sei, fordere die AGFW zunächst besagte 25 Prozent mehr Personal.

Die Sozialbehörde sieht dafür „gegenwärtig keinen Spielraum“, sagt Sprecher Marcel Schweitzer. Schließlich hat man gerade andere Kita-Wahlversprechen erfüllt: Ab August wird die fünfstündige Kita-„Grundbetreuung“ kostenfrei, was pro Jahr etwa 70 Millionen Euro kostet. Auch das war 2011 eine Forderung des LEA, der einen Volksentscheid betrieb und dann im Wahlkampf mit der SPD einen „Kita-Frieden“ vereinbarte. Als ersten Schritt nahm die SPD noch im Wahljahr eine umstrittene Gebührenerhöhung zurück, als vorerst letztes soll nun die Beitragsfreiheit folgen.

Gefragt, ob nicht auch Elternvertreter Prioritäten zu Gunsten der Krippen setzen könnte, sagt Thorsten Peters: „Der LEA hat angeboten, die Betragsfreiheit um ein Jahr zu verschieben.“ Die 70 Millionen Euro hätten für Personalaufstockung in Krippen genutzt werden können. Den Vorschlag habe man Sozialsenator Detlef Scheele (SPD) gemacht, bevor dieser im März die Beitragsfreiheit verkündete.

Doch Scheele lehnte ab. Die kostenlose Grundbetreuung sei laut Schweitzer „nicht verhandelbar“ gewesen.  KAIJA KUTTER