Strick, Falltür und – Schnitt

Auch seriöse Medien wie der Sender BBC zeigten Ausschnitte der Hinrichtung des Despoten Saddam Hussein. Nur die Sekunde des Todes nicht. Dem westlichen Wertesystem scheint das zu entsprechen

VON BETTINA GAUS

Die Hinrichtung des ehemaligen irakischen Diktators Saddam Hussein und deren Begleitumstände haben wieder einmal gezeigt: Die demokratischen Länder dieser Welt, in denen die Menschenrechte einen hohen Stellenwert genießen, verfügen über gemeinsame Werte und gemeinsame zivilisatorische Mindeststandards. Das ist erfreulich. Und worin bestehen diese Standards? In der Ablehnung der Todesstrafe, beispielsweise? Nein. Das denn doch nicht.

Dann gewiss in der Achtung der Menschenwürde von Gefangenen, unabhängig von deren Status und den Gründen ihrer Gefangenschaft? Nun ja. Das kommt auf die Definition von Menschenwürde an. Können sich die demokratischen Staaten denn wenigstens darauf verständigen, dass alle Gefangenen – auch verurteilte Straftäter – vor öffentlicher Neugier und Demütigung zu schützen sind? So, wie die Genfer Konventionen es für Kriegsgefangene gebieten? Nein. Das ginge wohl zu weit.

Was also besagen die zivilisatorischen Mindeststandards der freien Welt? Ungefähr das: Zu einer Hinrichtung sollte niemand ein Mobiltelefon mitnehmen.

Ein Handy eignet sich nämlich auch für heimliche Filmaufnahmen. Die Sekunde, in der bei einer Exekution der Tod eintritt, darf jedoch nicht gezeigt werden. Das gebieten die zivilisatorischen Mindeststandards.

Sie führen Regie beim Fernsehschnitt. Offizielle Aufnahmen enden, bevor sich die Falltür öffnet, auf der ein Delinquent mit Strick um den Hals steht. Und wie sieht es nach der Hinrichtung aus? Bilder von der Leiche sind o. k. Auch, solange sie noch am Galgen hängt. Das hat die Bild-Chefredaktion so entschieden. Aber diese eine Sekunde des Todes: Die ist tabu und muss tabu bleiben! Das gebietet die Humanität. Wenn das nicht Pietät ist! Der endgültige Sieg über die Barbarei!

Die Scheinheiligkeit der Debatte über das, was sich ziemt, und über das, was sich nicht ziemt, ist kaum noch zu überbieten. Eigentlich war es ja zu erwarten: Gestritten wird wieder einmal über das Netz. Im Internet kann man – auch das war zu erwarten – den gesamten Vorgang der Hinrichtung von Saddam Hussein verfolgen. Das genau ist doch Segen und Fluch des noch immer neuen Mediums: Es ist hierarchiefrei. Nichts lässt sich erzwingen, nichts lässt sich verhindern. Auch Obszönitäten nicht, wie Filme über die Hinrichtung westlicher Geiseln durch islamistische Terroristen. Oder eben Aufnahmen von der Hinrichtung eines Despoten.

Der Wunsch nach Demütigung des Feindes über den Tod hinaus ist archaisch. Die wenigen belegten Beispiele für ritualisierten Kannibalismus speisen sich aus dieser Quelle. So sehr viel scheint uns von Höhlenmenschen doch nicht zu unterscheiden. Gewiss: Die Höhlenmenschen kannten keine Kameras, und noch haben wir den Punkt nicht erreicht, an dem Leber und Herz eines getöteten Tyrannen vor Fernsehkameras verspeist werden. Darf man diese Tatsache im Blick auf zivilisatorische Mindeststandards eigentlich unerwähnt lassen?

Wenn es ein Leitmedium gibt in der westlichen Welt, dann ist es wohl auch heute noch die BBC. Hüterin der Pressefreiheit, Maßstäbe setzend für das Ethos des Journalismus. Selbstkritisch. Um neutrale Berichterstattung bemüht.

Was hat die BBC – ebenso wie andere Fernsehsender der so genannten demokratischen Welt – am Tag der Hinrichtung von Saddam Hussein gesendet? Einen fürsorglichen Hinweis ans Publikum, dass die nun folgenden Bilder von einigen Leuten als „verstörend“ empfunden werden könnten. Und dann die Bilder: Saddam Hussein auf dem Weg zur Hinrichtung, begleitet von vermummten Schergen, die ihm erst ein Tuch und dann einen Strick um den Hals banden. Dann brachten die Henker ihn zur Falltür. Dann – Schnitt.

Es ist aufschlussreich, dass die öffentliche Debatte sich auf das konzentriert, was von der Öffentlichkeit nicht zu beeinflussen ist: das Internet. Es entspricht der gefühlten Hilflosigkeit im Zeitalter der Globalisierung. Sollten wir nicht auch endlich anfangen, über Erdbeben zu streiten?

Wer das allerdings sinnlos fände, sollte über das reden, was sich nach wie vor kontrollieren und verändern lässt. Also über das Medium Fernsehen. Und über die Frage, ob es mit unserem Wertesystem zu vereinbaren ist, einen Menschen im Angesicht des Todes der Öffentlichkeit preiszugeben. Oder ob wir uns – auch – damit einer terroristischen Geisteshaltung immer mehr annähern, die wir doch eigentlich zu bekämpfen wünschen. Das genau ist nämlich derzeit so furchtbar kompliziert: Nicht alles lässt sich noch beeinflussen. Manches aber schon.