Streit um Ställe eskaliert

MASSENTIERHALTUNG In Ostfriesland werden Gegner der industriellen Hähnchenmast von Befürwortern bedroht. Der Auricher Amtsarzt bestreitet eine Umweltbelastung durch die Mastställe

„Keine aussagekräftige Untersuchung beweist die Umwelt-gefährdung von Mastställen“

Amtsarzt Eimo Heeren

Er fühle sich wie „ein Jude“ und werde „verfolgt“: Der sich da beschwerte, war ein Landwirt, der im ostfriesischen Norddeich einen Maststall für 39.999 Tiere aufbauen will. Ort des bemerkenswerten Auftritts war eine Podiumsdiskussion, zu der die örtliche Bürgerinitiative gegen die Mast (BI) eingeladen hatte. Tatsächlich angegriffen aber wurde der Veranstaltungsleiter nach der Diskussion – von einigen Männern „aus dem Bereich der Landwirtschaft“.

Wer sich öffentlich gegen konventionelle Landwirtschaft engagiere, schimpft Peter Clever, Mitglied der BI, „der wird von einigen Bauern als Verräter bekämpft“. Er selbst sei er in der Nähe seines Hauses angepöbelt worden, auch sei es zu einem Gerangel gekommen. Einige Tage nach dem Vorfall hätten ihn beim Spaziergang am Deich erneut vier junge Männer bedroht. „Schade, dass wir jetzt keine Streichhölzer mit haben“, habe einer gesagt. Clever hat einige der „aggressiven Hähne“ erkannt und die Vorfälle der Polizei gemeldet. Jetzt ist die Familie umgezogen und gibt ihre aktuelle Adresse nicht bekannt.

In Ostfriesland sollen Mastställe in einer Kapazität von 30.000 bis 80.000 Tieren gebaut werden (taz berichtete). Einige bestehen bereits, für drei Orte liegen weitere Bauanträge vor. Besonders pikant ist ein Vorhaben in Norddeich bei Norden, hinter dem Nordseedeich: Dort befinden sich ein Vogelschutzgebiet und der Nationalpark Wattenmeer. Norddeich selbst ist seit einigen Jahren als Luftkurort qualifiziert und zieht, laut Kurverwaltung, besonders Kinder mit Atemwegserkrankungen an. „Wenn die Hähnchen kommen“, sagt der Leiter einer Kurklinik, „können wir unser Haus dicht machen.“

Gegen die Ansiedlung engagiert sich eine Bürgerinitiative. „Wir rechnen mit einer unzumutbaren Belastung der Luft. Die Nähe zu den Zugvögeln garantiert einen gefährlich Infektions- und Verbreitungsherd für behandlungsresistente Keime. Gerade nach der Erfahrung des letzten Dioxinskandals halten wir industrielle Tierproduktion auch aus Tierschutzgründen für unverantwortlich“, fasst ein Sprecher der BI deren Position zusammen. Vergangene Woche übergab sie dem Kreis Aurich als Entscheidungsbehörde eine Liste mit 3.300 Unterschriften.

Inzwischen hat sich der Stadtrat von Norden gegen die Hähnchenmast ausgesprochen und fordert eine Umweltverträglichkeitsprüfung. Auch der Rat der Stadt Leer hat auf Antrag der Grünen eine Resolution gegen die Massenmast von Hähnchen in Ostfriesland verabschiedet.

„Es gibt keine aussagekräftigen Untersuchungen, die die Umweltgefährdung von Massenmastställen beweisen könnten“, sagt indes der Auricher Amtsarzt Eimo Heeren. Zudem mangele es an Referenzwerten. „Wir wissen heute gar nicht mehr, was Normalluft ist“, sagte Heeren auf einer Anhörung – und erklärte die Unbedenklichkeit des Projekts in Norddeich. Im gleichen Atemzug hielt er übrigens auch Dioxin in Eiern für unbedenklich: „Das ist normal, Grünkohl und Fisch sind auch belastet.“

„Besonders ärgerlich“ nennt ein BI-Sprecher die „kameradschaftliche Nähe“ zwischen Heeren und den Antragstellern.

„Der Mann ist absolut inkompetent“, wirft ein Kollege Heeren vor. Drei Mediziner aus dem Landkreis legen jetzt eine Metastudie vor, in der Untersuchungen zur Umweltbelastung von Massentierhaltung und Mastställen zusammengefasst sind.

THOMAS SCHUMACHER