Nachhaltigkeit im Schlaraffenland?

MASSE UND KLASSE Auf der Internationalen Grünen Woche 2011 gucken einige Akteure zwar auch über den Tellerrand. Doch die Gegensätze zwischen Konsumfreude und Ökologie werden damit nur teilweise überbrückt

„Die Grüne Woche inszeniert eine heile Welt der intakten Landwirtschaft. Probleme wie Gentechnik, Pestizide, Überdüngung werden nicht thematisiert“

RÜDIGER ROSENTHAL, BUND

VON HEIDE REINHÄCKEL

Mit der 76. Internationalen Grünen Woche öffnete gestern in Berlin auch „Deutschlands größter Biosupermarkt“, so Wolfgang Rogall, Sprecher der Messe Berlin. Gemeint ist der BioMarkt innerhalb der Messe mit einer Ausstellungsfläche von 3.000 Quadratmetern. „Bio und Regionalität sind die beiden großen Trends der Grünen Woche“, resümiert Rogall. „Anständig essen“, wie die Schriftstellerin Karen Duve ihren zu Jahresbeginn erschienenen Selbstversuch betitelte, sich ein Jahr lang ökologisch und ethisch korrekt zu ernähren, ist ein hehres Ziel.

Nachhaltigkeit ist Thema

Dass damit nicht nur große Portionen gemeint sind, zeigt auch die Grüne Woche. Denn schon lange ist die weltgrößte Verbraucherschau für Landwirtschaft, Ernährung und Gartenbau nicht mehr nur mit den Besuchermagneten Erlebnisbauernhof und Blumenschau sowie kulinarischen Häppchen-Hopping assoziiert. Auch die diesjährige Grüne Woche mit 115.000 Quadratmeter Bruttoausstellungsfläche und Ausstellern aus über 50 Ländern thematisiert nachhaltige Strategien innerhalb einer globalisierten, leistungsorientierten Landwirtschaft.

Im BioMarkt von der Größe eines halben Fußballfelds präsentieren über 70 Aussteller Produkte aus kontrolliert biologischen Anbau. Zum zweiten Mal ist hier auch der Schwerpunkt Fair Trade vertreten.

Das Forum Fairer Handel informiert unter dem Motto „Fair liebt Bio“ über Gemeinsamkeiten zwischen Fairem Handel und ökologischer Landwirtschaft. Die Besucher können den Weg einer Fair-Trade-Schokolade von der Kakaoschote bis zur fertigen Schokolade verfolgen und dabei Bio-Genuss mit fairen Konditionen für die Produzenten verbinden.

In der Tierhalle 25 werden zehn Tage lang auch mehrere einfarbige gelbe Rinder stehen. Sie gehören zur Rasse des Limpurger Rinds, einem Dreinutzungsrind, das bis in die 1950er Jahre als Arbeitstier, Fleisch- und Milchlieferant genutzt wurde. Es starb mit der Motorisierung der Landwirtschaft beinahe aus, bis Züchter 1986 noch einige Restbestände fanden und sich seitdem um die Erhaltung der ältesten noch lebenden württembergischen Rinderrasse bemühen. Anlässlich der Grünen Woche wird das Limpurger Rind zur gefährdeten Nutztierrasse des Jahres 2011 erklärt. „Denn auch Nutztierrassen sterben aus, nicht nur Wildtiere“, erklärt Antje Feldmann von der Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Haustierrassen e.V. (GEH). So gebe es in Deutschland über 60 Rinderrassen. Dennoch würden die schwarz-weiß gefleckten Holstein-Friesian-Rinder über 59 Prozent am deutschen Rinderbestand ausmachen. Die GEH will durch die Aktion auf die bedrohte Agrabiodiversität hinweisen und den Unterschied zwischen einem Limpurger Rind und einem Uckermärker Fleischrind plastisch vorführen.

Nicht auf Stroh, sondern auf einem riesigen Eisfeld liegen über 60 Arten von Fischen, Krebsen, Krabben und Muscheln im Ausstellungsbereich „Erlebniswelt Fisch“. Ob das kühle Eiskissen der Meerestiere auch mit einem guten Konsumentengewissen zu vereinbaren ist, darüber informiert die Internetdatenbank „Fischbestände online“. Die vom Johann Heinrich von Thünen-Institut betriebene Datenbank listet die Bestände der auf dem Deutschen Markt handelsüblichen Fische auf und gibt Auskunft über nachhaltigen Fischeinkauf.

Doch die verschiedenen Ansätze zur Nachhaltigkeit reichen den Kritikern der Grünen Woche nicht aus. „Die Grüne Woche inszeniert eine heile Welt der intakten Landwirtschaft. Probleme wie Gentechnik, Pestizide, Überdüngung werden nicht thematisiert“, kritisiert Rüdiger Rosenthal, Sprecher des BUND. Die Kritik zielt insbesondere auch auf die 3. Internationale Agrarministerkonferenz und den 2. Berliner Agrarministergipfel als politisches Rahmenprogramm der Grünen Woche. Deshalb nutzt der BUND nicht nur seinen Stand im BioMarkt auf der Grünen Woche, um kritische Aspekte der industrialisierten Landwirtschaft zu thematisieren. Sondern beteiligt sich im Rahmen eines breiten Aktionsbündnisses aus über 20 Umwelt-, Agrar- und Tierschutzverbänden am 22. Januar an einer Kundgebung mit dem Motto „Wir haben es satt. Nein zu Gentechnik, Tierfabriken und Dumpingexporten!“, die sich gegen die EU-Agrarpolitik, Multikonzerne und Massentierhaltung richtet.

Es geht aber noch anders

Auch der Bundesverband von Slow Food nimmt an der Demonstration teil. Die weltweite Bewegung mit dem Symbol der Schnecke setzt sich, so Ursula Hudson, stellvertretende Vorsitzende von Slow Food Deutschland, für „Artenvielfalt auf dem Teller und in der Natur“ ein und damit für eine regionale und saisonale Küche sowie nachhaltige Landwirtschaft. Slow Food vertritt ein anderes Konzept von Regionalität als etwa die Schau der Bundesländer auf der Grünen Woche, in der die Gesamtkulisse von Fototapete, Musik und regionalen Spezialitäten sowie die Kombination von Essen und Tourismus dominiert. Dass es auch anders geht, zeigt die Slow-Food-Messe „Markt des guten Geschmacks“ im April in Stuttgart.