Mehr als ein F-Wort

Die Ausstellung „Sexworks“ der Berliner NGBK beschäftigt sich soziologisch fundiert, künstlerisch aufgefächert und ganz unerotisch mit käuflicher Liebe

von TIM ACKERMANN

Für das Wort „Prostituierte“ gibt es im Deutschen 567 Synonyme. Gabriele Horndasch hat sie alle in 35-mm-Film geritzt. Nun präsentiert die Düsseldorfer Künstlerin ihre Sammlung als Diashow in der Ausstellung „Sexwork“. Alphabetisch, versteht sich. Simultan klackern sieben Projektoren, spätestens beim Buchstaben „F“ erscheint eine Schimpfkanonade: Fotze, lose Fliege, Filzlausverschiebebahnhof. In anderen Buchstabenregionen soll es poetischer zugehen.

Horndaschs Installation ist eine sinnreiche Ouvertüre zur „Sexwork“-Ausstellung der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK) in Berlin. Ähnlich umfassend werden hier künstlerische Auseinandersetzungen mit Prostitution gezeigt und thematisch auf drei Ausstellungsorte verteilt: Mal geht es um „Selbstverständnis und Respekt“, dann sind „Arbeitsmigration, Trafficking, Sextourismus“ das Thema oder eben die erwähnten „Klischees und Wirklichkeiten“.

Dass erst jetzt Kuratoren mit Vehemenz der käuflichen Liebe auf den Leib rücken, ist bemerkenswert. Wusste sich die Kunst doch stets die verruchte Aura zu Nutze zu machen: ob Goyas „Maja“ oder Brassais Fotos im „Chez Suzy“ – der Körper der Sexarbeiterin weckt unter dem Deckmantel der Kunst gesteigertes Interesse. Auch ultramoderne Begriffe wie das „Trafficking“ sind da alte Hüte: Bilder vom Frauenhandel malte Jean-Léon Gérôme bereits im 19. Jahrhundert, wobei seine Orientalismen den Voyeurismus als ethnografische Neugier kaschierten.

Heutzutage wird nichts mehr kaschiert. „Porn-Chic“ ist schwer in Mode, mit „Pornstar“-Shirt und Pornobrille. Von solcherlei Oberflächlichkeit ist die „Sexwork“-Ausstellung freizusprechen: Ganz nebenbei arbeitet sie in einem kurzweiligen Bildatlas die Motivgeschichte der Prostitution in der Kunst auf und bemüht sich ansonsten, das Phänomen käuflicher Liebe möglichst konkret in der gesellschaftlichen Realität zu verankern. 400.000 Prostituierte in Deutschland, 14,5 Milliarden Euro Umsatz im Jahr – das sind zwei Zahlen, die von den zahlreichen Infotafeln herunterwinken.

Die Kunst kommt bei „Sexwork“ denn auch ganz unerotisch daher. Es gibt keine Wiederholung medial erzeugter Mythen, wie der „Femme Fatale“ oder des anonymen willenlosen Opfers. „In den Kunstwerken tauchen natürlich Opfer von Zwangsprostitution auf“, erklärt Stéphane Bauer von der Arbeitsgruppe der NGBK, „aber die werden dann als Subjekte gezeigt. Sie werden personalisiert.“ Zudem – auch das macht die Ausstellung sichtbar – gibt es durchaus Menschen, die den Weg in die Sexarbeit bewusst gewählt haben. Menschen wie Maxi.

Maxi ist Teil der Künstlergruppe „Nutten und Nüttchen“. Die ist mit einem „Archiv“ in der Ausstellung vertreten. Unter einer roten, nackten Glühbirne hängt die Dokumentation: Die Sexworkers haben Valie Exports „Tapp und Tastkino“-Aktion reinszeniert, Bordelle fotografiert oder den ersten Internationalen Hurentag ins Leben gerufen. „ ‚Nutten und Nüttchen‘ vertritt die lustige Seite der Prostitution“, sagt Maxi, die zwanzig Jahre lang Sexworker war.

Menschen wie Maxi sind lebenswichtig für die Schau. Denn die soziopolitische Kunst beruht darauf, dass die Werke von den Erfahrungen realer Sexworker ausgehen. Oft arbeiten sie dabei mit der als authentisch tradierten Ästhetik von Fernsehreportagen. So hat Antje Engelmann ihre Tante Renate interviewt, die Prostituierte war. Tejal Shah hat die transsexuelle Community der Hijras in Indien gefilmt. Und Ditte Haarløv-Johnsen hat zwei Transvestiten in Mosambik mit der Kamera sogar bis in die Duschkabine begleitet.

In diesem Potpourri der globalen Sexarbeit kann der Betrachter einiges über Lebensbedingungen, Wünsche und Enttäuschungen der Beteiligten erfahren. Vieles ist allzu bekannt: Die Domina ist selbstbewusst, die Zwangsprostituierte eingeschüchtert. Stärker wirken Arbeiten, die die Erwartungen des Betrachters unterlaufen: Rommelo Yus zeichnet nackte Körper im kitschigen Manga-Stil. Die Bilder sind aus winzigen Buchstaben zusammengesetzt und erzählen von chinesischen Zwangsprostituierten. Und Christiano Bertis Zyklus „Memorial“ bietet dem Betrachter Fotos von Feldwegen oder unscheinbare Industriebrachen. Wenn man jedoch erfährt, dass es sich um Fundorte von ermordeten Prostituierten handelt, werden die harmlosen Szenerien mit einem enormen Bedrohungspotenzial aufgeladen.

Interessant sind zudem mehrere Arbeiten, die Freier zu Wort kommen lassen. Viele der befragten Freier tragen ihren Chauvinismus wie einen Panzer. Es gibt aber auch einige, die offen über die Einsamkeit als Essenz des Freiertums reden. Ein besonderer Fall ist Birgit Hein, die in einer autobiografischen Videoarbeit von ihren Sex-Abenteuern als weiße Mittfünzigerin auf Jamaika berichtet. Viele Anfeindungen von Männern und Frauen habe sie für ihren Film einstecken müssen, berichtet die Künstlerin, die ihren politisch-unkorrekten Hedonismus selbstbewusst verteidigt: „Die jamaikanischen Männer meinen doch eher, dass sie mich ausbeuten.“ Diese Zweideutigkeit gehört zu den spannendsten Aussagen der Ausstellung – dass Sexarbeit selbst bei vermeintlich klaren Machtverhältnissen mitunter einfach eine Frage der Bewertung ist.

Bis 25. 2. 2007 (ein Katalog erscheint im Januar)