Sind die Verbraucher selber schuld?
JA

GIFT Über belastetes Futter gelangte Dioxin in Eier und Fleisch. Und das in den Handel. Nun sollen Kontrollen schärfer werden. Gefährlich billig bleiben Lebensmittel dennoch

Die sonntaz-Frage wird vorab online gestellt. Immer Dienstagnachmittag. Wir wählen interessante Leserantworten aus und drucken sie in der nächsten sonntaz taz.de/sonntazstreit

Carmen Krüger, 63, ist Spitzenköchin und hat ein Restaurant in Brandenburg

Ich koche mit Leidenschaft für meine Gäste. Mein Kalbfleisch für den Sonntagsbraten und meine Martinsgänse kosten ein Mehrfaches im Einkauf gegenüber den Angeboten in Super-märkten. Als gelernte Fleischermeisterin weiß ich, wovon ich rede – weiß, was Qualität ist und was sie kostet. Wer sich selbst zumüllt, ist auch selbst schuld. Wenn ein Liter Milch billiger ist als ein Liter Mineralwasser, wenn man für den Preis eines „Big Mac“ gleich zwei Hühner bekommt und wenn ein Liter Olivenöl einen Bruchteil von Motoröl kostet, stellt sich die Frage: Wie viel darf Essen kosten? Möglichst wenig – das ist leider die Realität, in der Lebensmittel zu Billigprodukten verkommen sind. Der Kunde als König? Der Kunde von heute ist ein Geizhals. Und dem wollen die Immer-noch-billiger-Anbieter gefallen. Ohne Rücksicht auf Verluste.

Torsten Schober, 41, Physiker aus Stuttgart, hat auf taz.de das Thema kommentiert

Wir alle – die Verbraucher – können mehrmals täglich wählen, was wir essen. Wir haben es in der Hand, etwas zu ändern. Massentierhaltung und den damit einhergehenden Massenkonsum von Tieren und tierischen Produkten gibt es seit noch nicht einmal hundert Jahren. Es wird sicher noch Jahre dauern, aber dann wird das, was man heute als „konventionelle Tierhaltung“ umschreibt, der Vergangenheit angehören. Und wer immer sofort mit dem Argument des mangelnden Einkommens wedelt, der hat sich in den meisten Fällen noch keine Gedanken über die eigene Ernährung und den Anteil am Einkommen gemacht. Es wird in diesen Tagen oft das Szenario der vor dem teuren Bioladen verhungernden Armen gezeichnet. Sehr realistisch! Und die Retter sind dann Nestlé, Monsanto und die Discounter. Leute, nehmt die Gentomaten von den Augen und ändert euer Leben! Nur ein wenig.

Karen Duve, 49, hat das Buch „Anständig essen: Ein Selbstversuch“ geschrieben

Wenn unser erstes und einziges Interesse beim Einkauf von Fleisch der Preis ist, brauchen wir uns auch nicht zu wundern, wenn die Geflügel- und Schweinemäster das billigste Futter einkaufen. An Futtermitteln lässt sich anscheinend am meisten einsparen, zumal alle anderen Möglichkeiten bis an die Grenzen des Machbaren ausgereizt sind. Noch mehr Tiere lassen sich nicht in einen Stall stopfen, es sei denn, man will sie stapeln. Auch die Futtermittelhersteller können irgendwann den Preis nicht mehr senken, es sei denn, sie mischen besonders minderwertige – sprich gesundheitsgefährdende – Substanzen unters Futter. Da die Geflügel- und Schweinemäster immer beim billigsten Anbieter kaufen müssen, um im Rennen zu bleiben, gibt es eine Tendenz hin zum risikofreudigen und kriminellen Unternehmer. Dies war nicht der erste Futtermittelskandal und wird auch nicht der letzte sein. Es ist die Quittung dafür, dass wir uns entschlossen haben, nicht hinzusehen, wie unser Fleisch hergestellt wird.

Helmut Born, 62, ist seit 1991 Generalsekretär des Deutschen Bauernverbands

Der aktuelle Dioxinfall ist eindeutig auf eine kriminelle Handlung zurückzuführen. Verbraucher wie Bauern sind Opfer. Aber wenn die Folgen des Falls aufgearbeitet sind und die Konsequenzen etwa für die Kontrolldichte gezogen sind, dann wird zu fragen sein, warum die Verbraucher in Deutschland Bauern und Lebensmittelwirtschaft permanent über „Dauerniedrigstpreise“ wirtschaftlich so extrem unter Druck setzen. Anders als beim Auto werden Nahrungsmittel immer noch über den Preis, nicht aber über die Qualität, die Regionalität und Vielfalt gekauft. Lebensmittel sind mehr wert, ihre Sicherheit steht nicht zur Disposition. Deshalb hat Nahrung auch keine „Geiz ist geil“-Methoden verdient.

NEIN

Ilse Aigner, 46, ist CSU-Politikerin und Bundesministerin für Verbraucherschutz

Alle Lebensmittel, die in Deutschland verkauft werden, müssen sicher sein. Das ist gesetzlich vorgeschrieben, und die Verbraucher müssen sich zu jeder Zeit darauf verlassen können. Der Preis eines Produkts darf dabei keine Rolle spielen. Wenn man besonders hochwertige Waren haben möchte, muss man natürlich in der Regel auch ein bisschen tiefer in die Tasche greifen. Das ist bei Schinken und Käse nicht anders als bei Autos oder Computern. Das vielfältige Lebensmittelangebot in Deutschland gibt Verbrauchern die Möglichkeit, ganz bewusst zu entscheiden, wie viel Geld sie für ihr Essen ausgeben wollen. Man kann zwischen verschiedenen Produktionsverfahren wählen, sich an regionalen und saisonalen Aspekten orientieren oder den Geschmack entscheiden lassen. Wenn es jedoch um die Gesundheit geht, darf es keine Kompromisse geben. Hersteller und Händler müssen die Sicherheit von Lebensmitteln unabhängig vom Preis gewährleisten.

Kathrin Hartmann, 38, ist Autorin des Buchs „Ende der Märchenstunde“

Auf Lebensmittelskandale haben Politiker und Unternehmen eine simple Antwort: Der Verbraucher ist selbst schuld! Der will es ja so billig! Quatsch. Den Preisdruck auf die Lieferkette üben Supermärkte und Konzerne aus: Je billiger Lebensmittel hergestellt werden, desto größer ist ihr Profit. Kein Kunde steht im Supermarkt und verlangt Eier mit Dioxin, weil die so billig sind. Der „mündige Verbraucher“ gefällt Politik und Wirtschaft: Sie bringen sich aus der Schusslinie, indem sie ihm die Verantwortung zuschieben. Doch er kann sie gar nicht wahrnehmen, weil es keine Transparenz gibt. Schließlich hat es die Lebensmittelindustrie geschafft, die Ampel-Kennzeichnung auf Produkten zu verhindern, die „mündige“ Kaufentscheidungen möglich gemacht hätte. Es ist die Pflicht der Politik, statt Konzernen Profit zu sichern, Gesetze zu installieren, zu kontrollieren und Verstöße zu sanktionieren. Es liegt in der Verantwortung der Bürger, die Politik dazu zu zwingen.

Jürgen Stellpflug, 54, ist Chefredakteur des Verbraucher-Magazins „Öko-Test“

Nicht der Verbraucher ist schuld, sondern diejenigen, die das Dioxin ins Futter gemischt haben. Wer die Verantwortung an die Konsumenten abschieben möchte, weil sie nicht auf die Qualität der Lebensmittel, sondern nur auf den Preis achten, macht es sich zu leicht. Sicher: Konsumenten, die nur billig kaufen, müssen sich nicht wundern, wenn sie eine Vielzahl künstlicher Aromen und Geschmacksverstärker essen. Und Fleisch für 1,99 Euro pro Kilo stammt aus Massentierhaltung. Doch keiner kauft freiwillig Gift in Lebensmitteln. Dioxine kann man nicht riechen oder schmecken. Sie sind nicht klein gedruckt auf der Zutatenliste zu finden. Nicht einmal der Preis gibt Aufschluss darüber, ob die Eier oder das Fleisch belastet sind: Im vergangenen Sommer fand man die Chemikalie in Bio-Eiern. Damit ist der Verbraucher aus der Verantwortung.

Nicole Maisch, 29, Bundestagsabgeordnete und verbraucherpolitische Sprecherin der Grünen

Den schwarzen Peter den Konsumenten zuzuschieben, ist unpolitisch. Wenn kriminelle Panscher giftigen Abfall ins Tierfutter mischen, Kontrollergebnisse verheimlichen und die zuständige Ministerin Aigner trotzdem auf die freiwillige Selbstkontrolle der Futtermittelbranche setzt, wird klar, dass wir es hier mit Politikversagen zu tun haben. Konsumenten müssen wissen, wo und von wem ein Produkt unter welchen Bedingungen produziert wurde. Kontrollergebnisse – etwa zu Dioxinwerten oder zur Pestizidbelastung – gehören ins Netz und dürfen nicht als „Betriebsgeheimnisse“ verschleiert werden. Und wir müssen weitermachen mit der Agrarwende – Schwarz-Gelb marschiert leider in die völlig falsche Richtung.