Mark und Ed verändern die Welt

REVOLUTIONÄRE Mark Zuckerberg, 30, hat Facebook geschaffen – und dem US-Geheimdienst NSA die Arbeit erleichtert. Edward Snowden, 30, hat vor einem Jahr den Verfassungsbruch der NSA enthüllt. Beide ticken fast identisch

■ Der Anfang: Vater (Ed) Zahnarzt, Mutter (Karen) Psychotherapeutin. Drei Schwestern.

■ Die Wende: 2005 trifft Zuckerberg den Verleger der Washington Post. Fasziniert von dessen Denken, will er künftig als Unternehmer handeln.

■ Das Ende: Börsenwert von Facebook: gut 100 Milliarden Dollar.

VON JOHANNES GERNERT

Zwei Jungen werden an der Ostküste der Vereinigten Staaten geboren. Der eine heißt Mark, der andere Ed. Mark wächst in einer ruhigen Seitenstraße in einem Haus zwischen hohen Bäumen auf, nahe New York, in Dobbs Ferry, von wo aus George Washington einst für die Freiheit Amerikas kämpfte. Auch Ed wächst in einer ruhigen Seitenstraße in einem Haus zwischen hohen Bäumen auf, 372 Kilometer weiter südlich, in dem Städtchen Crofton nahe Fort Meade, von wo aus eine Behörde namens NSA die Sicherheit der USA garantieren soll.

Als Mark und Ed zur Welt kommen, kaufen die Menschen in den ruhigen Seitenstraßen ihre ersten Personal Computer, graue Kisten, die aussehen wie eine Kreuzung aus Fernseher und Supermarktkasse. Als sie in der High School sind, werden immer mehr der Computer mit dem Internet verbunden. Die beiden verbringen viel Zeit vor den Rechnern. Mark programmiert Spiele, Eroberungsfeldzüge im Römischen Reich. Auch Ed fängt mit dem Programmieren an. Was sie dafür wissen müssen, bringen sie sich selbst bei, sie schauen es in Büchern nach oder im Netz.

Als Mark und Ed 29 Jahre alt sind, wird der eine erfahren, dass es den anderen gibt. Und er wird sich anschließend gezwungen sehen, den Präsidenten der Vereinigten Staaten anzurufen.

Jetzt, ein Jahr später, sind beide 30. Der eine lebt irgendwo in Russland. Wer ihn besucht, wird nachts in abgedunkelten Kleinbussen an einen geheimen Ort gebracht und lässt sich zum Beweis mit ihm fotografieren. Der andere lebt in Kalifornien in einer ruhigen Seitenstraße in einem Haus zwischen hohen Bäumen. Wer ihn besucht, kommt in die Zentrale seines Konzerns und lächelt dort in die Kameras.

Mark Elliot Zuckerberg, 30, ist der Chef des größten sozialen Netzwerks der Welt. Mehr als eine Milliarde Menschen nutzen Facebook jeden Monat.

Edward Joseph Snowden, 30, ist der Urheber der größten Geheimdienst-Enthüllung aller Zeiten. Milliarden Menschen wissen seitdem, wie die National Security Agency sie überwacht.

Die Konterfeis der beiden werden auf Zeitungstitel und Plakate gedruckt, ihre Worte millionenfach verbreitet. Sie werden verehrt und angefeindet.

Mark Zuckerberg und Edward Snowden sind die zwei Gesichter des Internets in diesem Jahrzehnt. Auf der einen Seite der Erfinder eines Netzwerks, das private Beziehungen zwischen Menschen kartografiert. Auf der anderen der Mann, der zum ersten Mal öffentlich macht, dass mächtige Geheimdienste genau solche Verbindungen horten. Das Internet von Konzernen wie Facebook und Google gegen jenes von Aktivisten wie Wikileaks und Anonymous.

Aber so sehr ihre Lebenswege Mark und Ed getrennt haben, so sehr der eine nun Staatschefs die Hand schüttelt und der andere bedroht wird: Sie handeln nach den gleichen Prinzipien.

Als sie noch in Kinderwagen über Vorstadtgehwege rollen, erscheint ein Buch mit dem Titel „Hacker: Die Helden der Computerrevolution“. Der Autor Steven Levy beschreibt darin, wie junge Ingenieure an der Eliteuniversität MIT in Boston mit Technik das Leben verbessern wollen. Er formuliert Grundsätze ihrer Hackerethik. Der Computer und das Internet sind für diese Ingenieure Mittel, um Schönheit zu schaffen. Und eine Welt, die von der Freiheit der Information lebt, von Transparenz, die die Mächtigen kontrolliert. Für die Hacker formuliert Levy einen eigenen Imperativ, den „Hands-on-Imperativ“, den „Macher-Imperativ“. Dinge tun, statt über sie zu reden.

Während Mark und Ed heranwachsen, beginnen die Ersten von einer digitalen Revolution zu sprechen. Nach dem Atomunfall von Tschernobyl waren viele Menschen skeptisch geworden, wie viel Gutes durch Technik in die Welt kommt, nun lösen Innovationen wieder Begeisterung aus. Firmen, die ein paar Jahre zuvor in kleinen Garagen gegründet wurden, werden zu Großkonzernen. Welten, die die einen mit ihrer Tastatur erschaffen, durchmessen andere mit ihrem Joystick. Bits und Bytes werden zum Rohstoff der Zukunft.

Auch die zwei Teenager, die sich für „Star Wars“ und Sammelkarten begeistern, erkennen den Wert dieses Rohstoffs.

Mit 30 haben sie mit Hilfe von Technik so viel bewegt, dass ihnen ganz schummrig werden müsste, wären sie nicht nüchterne Anhänger des Macher-Imperativs. Ingenieure des Digitalen.

In einem der Studentenzimmer an der Universität Harvard hängt eine weiße Tafel an der Wand. Mark Zuckerberg steht oft davor und betrachtet seine Ideen. Zahlen, Buchstaben, Symbole. Codes. Befehle für den Computer. Es ist der Herbst des Jahres 2003, Zuckerberg ist gerade nach Harvard gezogen. Manchmal trägt er ein T-Shirt mit einem Affen darauf und der Aufschrift „Code Monkey“. Mit einem seiner Programme können Studentinnen und Studenten sehen, wer dieselben Kurse besucht wie sie.

Mark Zuckerberg studiert Psychologie. Er interessiert sich für die Verbindungen zwischen Menschen. Er denkt sie als Graphen. Linien zwischen Punkten. Einmal, er ist nicht ganz nüchtern, hackt er sich in eine Datenbank der Universität und baut eine Seite, auf der Kommilitonen gegenseitig ihre Fotos bewerten sollen. Er fliegt fast von der Uni. Dann entwirft er Thefacebook. Im Grunde bringt er nur die Jahrbücher von Harvard ins Netz, Fotos und Kurzbiografien von Studierenden. Die Sammlung von Gesichtern und Lebensläufen fasziniert die Kommilitonen, auch an anderen Universitäten. Facebook wächst.

Er programmiert nächtelang. Neben seinem Computer: Fast-Food-Müll und Flaschen. Mitstudenten erleben ihn als streng rationalen Denker, der sich ungern Grenzen setzen lässt. In einem Chat schreibt er: „Ha, ha. Also bitte, Mann, du kannst dich unethisch verhalten, aber trotzdem legal. So lebe ich mein Leben, ha, ha.“ Er macht einfach.

Mark Zuckerberg ist 20. Er merkt, dass seine Codezeilen das Leben von tausenden Studenten beeinflussen, überall in den USA. Nach dem ersten Jahr pflegen schon eine Million Menschen bei Facebook ihre Profile.

In einem zweistöckigen grauen Holzhaus im Städtchen Ellicott City nicht weit von Washington sitzt Edward Snowden vor einem Computer und chattet. Es ist der Herbst des Jahres 2003, Snowden ist 20 Jahre alt. Nach der Scheidung seiner Eltern ist er hierher gezogen.

„Also bitte, Mann, du kannst dich unethisch verhalten, aber trotzdem legal. So lebe ich mein Leben“

MARC ZUCKERBERG ALS STUDENT IN EINEM CHAT

Seit einiger Zeit fragt er sich, wie man seine Spuren im Netz verschleiern kann. Er surft in einem Online-Forum. Edward Snowden nennt sich dort TheTrueHOOHA. Hoo-ha kann Aufruhr bedeuten – oder ein Slangwort für Vagina. An diesem Dienstagnachmittag im Oktober 2003 will ein Forumsmitglied von ihm wissen: „Ich bin schon ein bisschen neugierig, weswegen verdammt noch mal du dich so paranoid verhältst.“

„Ich will gar nicht paranoid sein, nur geschützt. Und ich frage mich, wo da die Grenze verläuft“, antwortet TheTrueHOOHA.

Er überlegt, wie man den Absender einer Nachricht mit technischen Mitteln verschleiern kann. Indem man die Information so oft um die Welt leitet, bis ihr Ursprung unsichtbar wird. Madagaskar. Mekka. Kirgisien. Bulgarien. Wenn das aber am Ende nicht klappt und der wahre Absender doch irgendwie erkennbar wäre: „Das wäre übel. Das wäre richtig übel.“

Warum das übel wäre, schreibt er nicht. Stattdessen, es ist Abend geworden, erzählt er ein wenig von sich: Er sei ein von Microsoft zertifizierter Systemingenieur ohne Abschluss. „Sprich: arbeitslos.“

Edward Snowden hat nie bestritten, dass er TheTrueHOOHA war. Es gibt ein Profilfoto, dass einen jungen Mann zeigt, der verstörend verletzlich von unten in die Kamera heraufschaut. Blass, ein hageres Gesicht, die blonden Haare mit etwas Stylinggel zu Strähnchen verwuschelt.

Edward Snowden hat aber auch nie bestätigt, TheTrueHOOHA gewesen zu sein. Das könnte daran liegen, dass dieser in Chats andere auch mal als „beschissene Minderbemittelte“ beschimpfte, über Muslime lästerte und kommentierte, Whistleblowern müsse „in die Eier geschossen werden“. Immer aber pries TheTrueHOOHA die Freiheit und die Verfassung der Vereinigten Staaten. Wie Edward Snowden.

Als Zuckerberg in Harvard Facebook entwirft, meldet sich Snowden bei der Armee. Er will die Freiheit auch in den Irak bringen, bricht sich aber schon beim Training beide Beine und gibt auf. Kurz arbeitet er als Sicherheitsmann, dann bekommt er eine Stelle als Techniker bei der CIA. Er ist ein Patriot, der denkt, dass Geheimdienste die Freiheit schützen. Seine internationale Karriere beginnt.

Im Mai 2007 joggt Mark Zuckerberg in wenigen Schritten auf eine Bühne in San Francisco. Sein Netzwerk hat 24 Millionen Mitglieder. 100.000 neue jeden Tag. Er trägt blaue Badeschlappen, ausgebeulte Jeans und eine Fleece-Jacke. „Heute“, sagt Zuckerberg, „starten wir zusammen eine Bewegung.“ Er ist nervös, seine Mundwinkel zucken.

Ab jetzt erlaubt er anderen Firmen, Programme zu schreiben, die direkt für sein Facebook-Internet gemacht sind. Spiele zum Beispiel, die nur dort funktionieren – eines der bekanntesten wird „Farmville“ heißen. Es ist ein Akt der Öffnung: Am Wachstum seines Netzwerks sollen sich alle mit ihren Ideen beteiligen.

„Das ist der soziale Graph. Er verändert die Welt“, sagt Mark Zuckerberg. Der soziale Graph. Linien, die die Menschenpunkte verbinden. Linien, die Freundschaft bedeuten können. Ein Gespräch auf einer Party. Oder nur einen Klick auf ein Bild im Facebook-Profil. Genau die Linien, die auch die NSA nutzen will.

Die Öffnung, die Mark Zuckerberg verkündet, leitet eine Abschottung ein. Je mehr Spiele, Nachrichten oder Bilder Menschen auf Facebook finden, desto weniger surfen sie durch den Rest des Netzes. Offener werden dabei vor allem Facebooks Datenschatzkammern – für die Entwicklerfirmen, die mit passgenauen Anwendungen Geld verdienen wollen. Zuckerberg betont, dass Informationen frei sind, während er sie eigentlich gefangen nehmen will. Sein Macher-Imperativ beginnt stur den Interessen eines Unternehmens zu dienen, das gerade zum Weltkonzern wird.

Ein Jahr zuvor hat Mark Zuckerberg den News Feed eingeführt. Jedes Facebook-Mitglied bekommt seitdem angezeigt, was die anderen schreiben, welche Fotos sie hochladen. Der Shitstorm war unglaublich. Mit der analytischen Kühlheit eines Programmierers hat Zuckerberg festgestellt, wie sich der Protest gegen den News Feed verbreitete – über den News Feed. Er kann dieses mächtige Instrument auf keinen Fall aufgeben. Er gesteht den Nutzern lediglich zu, bestimmte Informationen privat zu halten. Ein Aushandlungsprozess zwischen Zuckerberg und den Facebook-Mitgliedern setzt ein, der bis heute anhält.

Die Leute beginnen zu spüren, wie ihre Faszination für die Bilder, für das Leben der anderen, schaden kann. Den Ersten wird wegen Kommentaren auf Facebook der Job gekündigt.

Aber zur gleichen Zeit bestärken Schlagzeilen von Facebook-Revolutionen in Tunesien und Ägypten und vom Facebook-Präsidenten in den USA Zuckerbergs Glauben, dass der Code die Welt besser machen kann.

Es ist nicht bekannt, ob Edward Snowden jemals ein Konto bei Facebook hatte. Es ist eher unwahrscheinlich.

2007 geht Snowden für die CIA nach Genf. Er bekommt mit, wie Undercoveragenten einen neuen Informanten anwerben: Sie animieren einen betrunkenen Banker, mit dem Auto nach Hause zu fahren. Die Polizei erwischt ihn. Daraufhin helfen die Agenten dem Banker – damit er später für sie arbeitet.

Ewen MacAskill denkt, das könnte der Moment gewesen sein, als Snowdens Skepsis gegenüber den Geheimdienste einsetzte. MacAskill, 62 Jahre alt, ein Verteidigungsexperte der britischen Zeitung The Guardian, war einer der drei Menschen, die Snowden vor einem Jahr in seinem Hotelzimmer in Hongkong befragten und aus seinem Material die ersten Geschichten gewannen. „Am wohlsten hat er sich immer gefühlt, wenn er über IT-Fragen sprach“, sagt MacAskill mit seinem schweren schottischen Akzent am Telefon, „über Computer, über NSA-Programme. Diese Welt interessiert ihn. In dieser Welt lebt er.“ Im Hintergrund ist das Murmeln aus dem Newsroom des Guardian in London zu hören.

■ Der Anfang: Mutter (Elizabeth) Angestellte am Gericht, Vater (Lonnie) bei der Küstenwache. Eine Schwester. Kindheit im stillen Städtchen Crofton neben der Geheimdienstzentrale der NSA.

■ Die Wende: Als IT-Spezialist für die CIA erfährt er, wie zwielichtig sie Informanten rekrutiert. 2008 hofft er, dass Obama Transparenz schafft, wird aber enttäuscht.

■ Das Ende: Flucht nach Hongkong, Exil in Russland. Guardian, Washington Post. Weltaffäre.

2009 zieht Snowden für einige Monate nach Japan. Er arbeitet für die NSA, ist aber offiziell bei deren Dienstleister, dem IT-Konzern Dell, angestellt. Im selben Jahr beginnt der Geheimdienst Daten von Facebook für sein Überwachungsprogramm Prism zu nutzen. Edward Snowden schreibt sich für einen Online-Kurs an der University of Maryland ein.

Einen Abschluss macht er nie. Auch Mark Zuckerberg hört in Harvard einfach auf.

Es ist das Selbstbewusstsein einer Generation von Programmierern, die sich fortbilden, indem sie sich durch Netzforen klicken. Oder indem sie herausfinden, wie etwas geht. Als sie um die Jahrtausendwende damit anfangen, wird Google gerade erst gegründet, die Konzerne haben sich das Internet noch nicht aufgeteilt, und die NSA nimmt sich noch nicht alle Daten, die sie bekommen kann.

Nach dem 11. September wird es für diese neuen Ingenieure deutlich einfacher, Karriere bei den Geheimdiensten zu machen. Besonders die NSA hat den Eindruck, dass sie etwas versäumt hat. Die Regierung Bush erweitert daraufhin deren Macht. Der Dienst stellt in den folgenden Jahren tausende neue Mitarbeiter ein – auch Snowden.

„Es war eine seltsame Welt – da liefen all diese Kids über die Flure mit den absurdesten Haarfarben“, erinnert sich ein ehemaliger NSA-Direktor im Magazin Rolling Stone.

Es kann sein, das Edward Snowden in den NSA-Büros auf Hawaii deshalb nicht auffiel mit dem schwarzen Hoodie, der das Logo der NSA als Überwachungskonzern karikiert. So beschrieb ihn ein Kollege oder eine Kollegin von damals anonym dem Magazin Forbes. Snowden habe immer eine Verfassung auf dem Schreibtisch gehabt, um daraus zu zitieren, wenn die NSA dagegen verstieß. „Der Junge war selbst unter Genies ein Genie“, erzählt er oder sie. Weshalb die Vorgesetzten ihm so weitgehende Zugänge erteilten. „Wenn du da einen Typen hast, der etwas kann, was niemand kann, und das einzige Problem besteht darin, dass sein Hausausweis grün ist und nicht blau, was machst du da?“

Wenn man auf den Seiten von Facebook und NSA Videos für Bewerber ansieht, merkt man: Beide wollen ähnliche Menschen. Ein NSA-Video trägt den Titel „Crazy smart“ und wirkt, als wäre es vom Diversity-Beauftragten persönlich gedreht worden. Mehrere Frauen erzählen von ihren Jobs. Ein Mann mit gezwirbeltem Schnurrbart und Irokesenschnitt in Grau und Rosa redet von Programmiersprachen, während sein schwarzer Kollege Notizen macht. Auch Facebook wirbt um Frauen, stellt Mitarbeiter aus Afrika vor und Blinde.

Die Realität aber hat Google gerade erst mit einigen wenigen Zahlen beschrieben. 70 Prozent der Beschäftigten des Suchmaschinenkonzerns sind Männer. 61 Prozent der Angestellten in den USA sind weiß. Das Internet wird gestaltet von Menschen wie Mark Zuckerberg und Edward Snowden. Bei Facebook oder bei der NSA. Sie probieren aus, testen Grenzen. Machen – und schauen, was passiert.

Sie halten sich vor allem an die Regeln, die sie selbst aufstellen.

2012 ist ein entscheidendes Jahr für Mark Zuckerberg und Edward Snowden. Snowden lädt im April die ersten NSA-Dokumente herunter. Der Facebook-Chef muss Investoren werben. Im Mai soll es an die Börse gehen, ein Schritt, den er so lange wie möglich hinausgezögert hat. Weil er damit Macht aus der Hand gibt.

Facebook ist unter dem Druck Geld zu verdienen längst ein Netz des Werbens geworden. Alle werben um Beachtung, um „Likes“. Welche Nutzer dabei was zu sehen bekommen, entscheidet Facebook mit immer wieder veränderten Algorithmen. Es verkauft Aufmerksamkeit. Je mehr die Facebook-Ingenieure über ihre Mitglieder wissen, desto besser verstehen sie, wann Nutzer aufmerksam werden.

Im Gegensatz zu vielen anderen Gründern von Internetkonzernen hat Zuckerberg es geschafft, bis jetzt die Kontrolle zu behalten. Er will sie auch nach dem Börsengang sichern, mit einer Stimmenmehrheit von 57 Prozent. Ende Mai läutet er mit einer Glocke den Handel an der New Yorker Börse ein. Facebook gehört nun den Aktionären.

Es ist wohl so, dass Mark Zuckerberg seine Ethik in den Momenten am Stärksten betont, in denen er sie am meisten verrät. In einem Brief an die Aktionäre schreibt er von dem, was er „The Hacker Way“ nennt. Es klingt nach den Prinzipien, die der Autor Steven Levy 1984 formuliert hat. Der naive, aber unverbesserliche Glaube, dass die Welt sich reparieren lässt, wenn die Programmierer nur genug Updates machen können.

Es sei ein Ansatz, schreibt Zuckerberg, der ständige Verbesserung und Wiederholung verlange: „Hacker glauben, dass etwas immer noch besser werden kann, dass es niemals vollständig ist. Sie müssen es nur regeln – und sich dabei oft gegen Leute durchsetzen, die das für unmöglich halten oder die mit dem Status quo zufrieden sind.“ „Fix it“, schreibt Zuckerberg.

■ Edward Snoden: Wenn der NSA-Enthüller öffentlich spricht, verwendet er am häufigsten die Worte „Regierung“, „Überwachung“ oder „NSA“. Kurz dahinter kommen „Geheimdienst“ und „Öffentlichkeit“. Das zeigt eine Analyse seiner Redetexte und Interviews, die wir mit dem Programm wordle.net angefertigt haben und hier auf den Seiten zeigen.

■ Mark Zuckerberg: Wenn sich der Facebook-Chef äußert, kommen Wörter wie „Menschen“, „Facebook“, „wissen“ aber auch das kleine Wörtchen „äh“ – Englisch: „um“ – am häufigsten vor. Alles, was Zuckerberg öffentlich sagt, findet sich übrigens im digitalen Archiv auf der Seite: zuckerbergfiles.org.

Snowden hat nach seinen Enthüllungen zu einem Journalisten der Washington Post gesagt: „Wenn man es also aus einer Ingenieursperspektive betrachtet, eine Perspektive, die auf Versuche und Wiederholungen setzt, dann ist klar, dass es besser ist, etwas zu tun, als nichts zu tun.“ In einer Videobotschaft spricht er davon, die Technikcommunity könne unser Recht auf technische Standards durchsetzen. „Fix things“, sagt Snowden.

Beide sprechen von einer Mission, die sie erfüllen wollen. Für Zuckerberg heißt sie: Make the world more open und connected. Es deutet viel darauf hin, dass er wirklich denkt, dass die Welt immer besser wird, je mehr die Menschen teilen. Deshalb zwingt er sie manchmal regelrecht dazu. Er richtet den Macher-Imperativ danach aus, wann sich damit am meisten Geld verdienen lässt.

Snowden sagt in der Washington Post, seine Mission sei erfüllt: „Ich wollte der Gesellschaft die Möglichkeit geben, zu entscheiden, ob sie sich ändern will.“ Für ihn steht die Freiheit des Einzelnen über allem. Er bindet den Macher-Imperativ an die Verfassung.

Ende August 2012 geht Mark Zuckerberg über den dunklen Asphalt des Facebook-Campus, dem er die Adresse Hacker Way 1 gegeben hat. Die Sonne scheint, der Himmel ist azurblau. Junge Leute kreuzen den Weg. Zuckerberg geht so überaus ernsthaft gerade, dass es fast aussieht, als würde er sich selbst karikieren. Er trägt ein graues Shirt, Jeans und Sneakers. Seit einigen Jahren ist das seine Arbeitsuniform, die Schlappen sind weg.

Der Kurs der Facebook-Aktie ist abgestürzt. Überall auf der Welt laufen Prozesse oder Beschwerden, weil Mitglieder den Eindruck haben, ihre Privatsphäre werde verletzt, ihre Daten würden unrechtmäßig verkauft.

Zuckerberg spricht auf dem Hügel von seiner Mission

Zuckerberg schreitet den Campus ab. Hin und zurück. Er geht gern spazieren, wenn er nachdenkt. Er hat viele Leute, die er anstellen wollte, erst auf Spaziergänge auf die umliegenden Hügel mitgenommen. Wenn er oben war, hat er ihnen von seiner Vision erzählt, von seiner Mission.

Er soll sich das von Steve Jobs abgeschaut haben, dem Apple-Gründer. „Danke, dass du mir gezeigt hast, dass man mit dem, was man errichtet, die Welt verändern kann“, schrieb er zu dessen Tod.

Zuckerberg hat eine eigene Online-Welt errichtet, mit der seine Softwareentwickler ständig neue Dinge ausprobieren. Alles wird verwertet, um die passendsten Anzeigen zu schalten. Man weiß nie, wofür man die Daten noch brauchen kann, sagen die Ingenieure. Es erinnert an: Collect everything. An die NSA.

Edward Snowden wohnt zu dieser Zeit mit seiner Freundin auf Hawaii, in einem grauen Haus mit Garage und Rasen. Sie sind seit etlichen Jahren zusammen.

Die Freundin langweilt sich manchmal, weil er häufig weg ist und oft am Computer. Sie übt Pole-Dancing, das Tanzen an der Stange, und fotografiert sich. An einem Abend im Dezember 2012 fährt er mit ihr nach Honolulu. Sie haben eine Videokamera dabei. In einem Möbelladen treffen sie Runa Sandvik, eine junge, blonde Frau mit freundlichen Sommersprossen, die mit ihrem Job beim Tor-Projekt das anonyme Surfen im Netz ermöglichen will. Snowden hat sie zu einem Vortrag eingeladen. Etwa 20 Leute sind gekommen. Snowden wird erzählen, wie man Festplatten oder USB-Sticks sicher verschlüsselt. Seine Freundin filmt. Als Sandvik ihn fragt, wo er arbeitet, sagt er: „Dell“. Mehr nicht. Sie spürt, dass er nicht möchte, dass sie genauer nachfragt.

Am Anfang war die Hoffnung: Das Internet werde die Welt verändern. Mehr Offenheit, mehr Demokratie. Die Hoffnung war bei den Hackern, den ersten Programmierern. Der Autor Steven Levy hat 1984 versucht, die Utopie in sechs Grundsätze zu fassen. Der Chaos Computer Club erweitert und diskutiert sie stetig: ccc.de/hackerethik . Mark Zuckerberg hat manche von Levys Prinzipien für Facebook vereinnahmt, Edward Snowden einige verinnerlicht.

1 Der Zugang zu Computern soll grenzenlos und total sein.

2 Alle Informationen sollen frei sein.

3 Autorität sollte misstraut werden, Dezentralisierung ist zu bevorzugen.

4 Hacker sollten nur nach ihrer Fähigkeit zu hacken beurteilt werden, nicht nach Kriterien wie Rasse, Klasse, Alter oder Stellung.

5 Computer können benutzt werden, um Kunst und Schönheit zu schaffen.

6 Computer können dein Leben zum Besseren wenden.

„Er war ein großer Fan von Tor. Er kannte sich unglaublich gut damit aus“, sagt Runa Sandvik am Telefon. Anfangs hatte Snowden ihr geschrieben, weil sie ihm Tor-Aufkleber schicken sollte. Ein Tor-Sticker klebt auf dem Laptop, mit dem er nach den Enthüllungen fotografiert wurde.

Edward Snowden glaubt, dass die Stärke des Internets darin besteht, dass man sich nicht zeigen muss, wenn man nicht möchte. Mark Zuckerberg glaubt, dass es besser wird, wenn alle ihr wahres Gesicht offenbaren.

Er versucht, Masken im Internet abzuschaffen.

Snowden hat gezeigt, was sie ermöglichen. Im Dezember 2012 wendet er sich als „Cincinnatus“ mit anonymer E-Mail-Adresse an Glen Greenwald, den ehemaligen Bürgerrechtsanwalt und Kolumnisten des Guardian. Er bittet ihn, das Verschlüsselungssystem PGP zu installieren, damit sie geschützt mailen können. Greenwald hat zu viel zu tun und vergisst die Sache wieder.

2013 ist das Jahr, in dem Mark Zuckerberg etwas Politisches tut. Er gründet eine Initiative für mehr Zuwanderung von Hochqualifizierten. „Tell Congress to fix our broken system in 2014“, heißt es auf der Homepage. Fix it.

Edward Snowden hat mittlerweile die Dokumentarfilmerin Laura Poitras kontaktiert, die sich mit Verschlüsselung besser auskennt. Sie spricht Greenwald noch einmal an.

Am 20. Mai verschwindet Snowden. Seinem Arbeitgeber erzählt er, er müsse sich wegen Epilepsie untersuchen lassen. Er fliegt nach Hongkong und wartet im noblen Mira Hotel auf die Journalisten. Er hat tausende Dokumente auf verschiedenen Speichersticks dabei, sauber sortiert in Ordner und Unterordner.

Am Wochenende des 1. Juni landen Glen Greenwald, Laura Poitras und Ewen MacAskill für den Guardian in Hongkong.

MacAskill hat Snowden stundenlang interviewt. Aber er konnte nicht begreifen, warum dieser Mann bereit war, sein Leben aufzugeben. „Würde jemand zu mir sagen: Die Russen wollen Großbritannien einnehmen. Dann empfände ich eine patriotische Pflicht, mich dem entgegenzustellen“, sagt Ewen MacAskill. Aber Snowden sprach immer nur von der Freiheit des Internets, die gefährdet war. „Ich hab das damals nicht kapiert. Ich kapiere es jetzt. Massenüberwachung ist unsichtbar“, sagt der Journalist.

Damals, vor einem Jahr, hat er sich gewundert, warum Snowden vier Laptops hatte. Jetzt nutzt er selbst drei. Einen, der nie ins Internet geht. Einen für verschlüsselte Chats. Und einen normalen.

Zielpersonen wurden im April 2013 von der NSA innerhalb des Prism-Programms überwacht. Quelle: NSA-Folien/Washington Post

Milliarden Nutzer weltweit hatte Facebook im März 2014. Darunter sind 27,4 Millionen Deutsche Quelle: Facebook

Millionen SMS hat die NSA allein am 5. April 2011 aus weltweiten Handy-Netzwerken abgefangen Quelle: NSA-Folien/Guardian

Milliarden Privatnachrichten und über 350 Millionen Fotos versenden Facebook-Nutzer täglich Quelle: Facebook Whitepaper

Milliarden US-Dollar hatt die NSA im Jahr 2013 als Budget zur Verfügung. 2,5 Milliarden davon fließen in die Datenbeschaffung

Quelle: Snowden-Dokumente/Washington Post

Milliarden Dollar Umsatz hat Facebook 2013 erwirtschaftet. Tendenz steigend

Quelle: Facebook-Jahresbericht 2013

Edward Snowden lebt wie eine Hauskatze

Am Donnerstag, den 6. Juni, erscheint Glen Greenwalds und Ewen MacAskills Geschichte über Prism, das Programm, mit dem die NSA Informationen von Facebook und etlichen anderen Internetunternehmen abgreifen soll. Es ist der Moment, in dem Millionen wieder einmal klar wird, das Mark Zuckerbergs soziales Netzwerk ein Teil der Arbeit der Geheimdienste macht.

Einen Tag nachdem der Artikel veröffentlicht wird, wendet sich Mark Zuckerberg persönlich an die Welt: „Facebook hat der Regierung nie Zugang zu seinen Servern ermöglicht und tut das auch nicht.“

Im März 2014 schreibt er auf seiner Facebook-Seite: „Ich habe Präsident Obama angerufen, um ihm zu sagen, wie frustriert ich bin, weil die Regierung unser aller Zukunft beschädigt.“

Wenn man die Presseabteilung von Facebook fragt, was Mark Zuckerberg wohl von Edward Snowden hält, lacht am anderen Ende der Leitung jemand.

Wenn man Snowdens Anwälten schreibt, um zu fragen, was er wohl von Mark Zuckerberg hält, antworten sie, man könne da gerade leider nicht helfen.

Kürzlich hat Facebook wieder Zahlen vorgelegt. Im ersten Quartal 2014 lagen die Werbeerlöse 82 Prozent höher als ein Jahr zuvor. Mark Zuckerberg will jetzt die nächsten 5 Milliarden Menschen zu Facebook holen. Er weiß, dass viele dafür erst einmal Internet brauchen. Ein Internet, das er mit Facebook enger gemacht hat. Konzerne bezahlen darin für Aufmerksamkeit, Geheimdienste überwachen.

Edward Snowden sitzt jetzt irgendwo in Russland. Er lebe wie eine Hauskatze, sagt er. Er chattet viel. Er schaut „The Wire“, die US-Serie über Polizeiüberwachung. Sie spielt in Baltimore, ganz in der Nähe ist er aufgewachsen. In die USA gelangt er nur noch per Video. Die Daten laufen dann über sieben Umleitungen, damit keiner nachvollziehen kann, wo er sich aufhält. So spricht er im März auf einem Festival in Texas. Es brauche eine politische Antwort auf die Enthüllungen und eine technische, stellt er fest. „Die Entwickler können uns mit ihren Lösungen schützen“, sagt Edward Snowden, der Ingenieur.

Er hat noch Hoffnung, dass sie es einfach machen.

Johannes Gernert, 34, sonntaz-Redakteur, macht selten einfach und überlegt immer erst mal, bis es zu spät ist