HAMBURGER SZENE VON REBECCA CLARE SANGER
: Puppen und Menschen

Die männliche Schaufensterpuppe bei dem teuren französischen Handtaschenhersteller guckt plötzlich zu mir zurück

Auf der Reeperbahn sehen die Schaufensterpuppen aus, als seien sie die Nachdenklichsten hier – in Mieder, Korsetts und Strapse gezwängt, aber mit einem Gesichtsausdruck, der weitreichenden Gedanken nachzuhängen scheint. Schaufensterpuppen, die hier auf St. Pauli nur ganz aus Versehen gelandet sind, durch Schaufensterpuppenhandel, vielleicht.

Während also auf St. Pauli zu manchen Uhrzeiten die Puppen menschlicher aussehen als die Menschen, gibt es auf dem Neuen Wall fast gar keine Puppen mehr, und die Menschen müssen übernehmen. Große Fenster spiegeln sich blank, scheinbar ohne dass sie je geputzt werden müssten, und drinnen stehen kopflose Gestalten (denn bekopfte Puppen wirken ordinär), oder es fahren anstelle von Puppen nur gut gekleidete Fotografien auf stramm gespannten Großleinwänden Ruderboot. Manchmal gehen die Fotos auch in Wachs gekleidet jagen.

Die Scheibe spiegelt sich und die männliche Schaufensterpuppe bei dem teuren französischen Handtaschenhersteller guckt plötzlich zu mir zurück. Sie hat ebenmäßige Gesichtszüge und lebt, denn sie bewacht den französischen Handtaschenhersteller vor Dieben. Der Juwelier nebenan geht noch einen Schritt weiter: ihm ist sein Sicherheitsmann so geschäftsschädigend, dass er ihn im Regen vor dem Laden stehen lässt.