Hier treffen sich Krautrock und Techno

Eine kleine Geschichte von Manuel Göttschings „E2-E4“, das alten Rock mit neuer Tanzmusik verbindet

Ein Stück, das auf zwei Akkorden basiert und knapp eine Stunde lang ist, erscheint auf den ersten Blick nicht gerade wie ein Kandidat für einen internationalen Hit. Doch Manuel Göttschings Komposition „E2-E4“ ist ein Meilenstein in der Entwicklung der elektronischen Tanzmusik, die einen Impuls für mehrere Generationen von Techno-, House-, Trance- und Ambient-Produzenten lieferte. Einflussreiche DJs wie Larry Levan oder später Fatboy Slim spielten das Stück und machten die Originalversion zu einem langlebigen Clubhit. Dessen andauernde Beliebtheit inspirierte eine Gruppe italienischer DJs zu einem Remix unter dem Namen „Sueno Latino“, der 1990 zu einem internationalen Sommer- und Clubhit wurde und bis heute ein beliebter Afterhour-Clubtrack ist.

So wenig wie „E2-E4“ Material für einen Clubklassiker zu sein scheint, so wenig hat auch Manuel Göttsching von einem entsprechenden Produzenten. Der heute 54-jährige Berliner geht kaum in Clubs und erfuhr von dem Diskothekenerfolg von „E2-E4“ in den Achtzigerjahren erst aus der Presse. Ausgebildet an der klassischen Gitarre, begann er seine musikalische Karriere als Gitarrist der Berliner Krautrock-Formation Ash Ra Tempel. Ab Mitte der Siebziger begann Göttsching sich verstärkt mit elektronischen Instrumenten zu beschäftigen.

Auch „E2-E4“ wurde mit Sequenzer und Rhythmusmaschine eingespielt. Eigentlich war das Stück, das nach einem Eröffnungszug im Schach benannt ist, überhaupt nicht zur Veröffentlichung gedacht. Göttsching hatte es in einer einzigen Session ohne nachträgliche Bearbeitung am Abend des 12. Dezember 1981 aufgenommen. 1984 wurde es veröffentlicht.

Heute erscheint „E2-E4“ wie das Missing Link zwischen Krautrock und Techno. Göttsching isolierte das monoton-repetitive Element der experimentellen Rockmusik, die in den Siebzigern aus Deutschland kam, und stellte es in den Mittelpunkt seiner Komposition. „E2-E4“ verweigert sich der konventionellen melodischen Entwicklung in der westlichen Musik, hält sich stattdessen für knapp eine Stunde mit einem einfachen Akkordwechsel auf. Eine Rhythmusmaschine klappert den Beat, ein Synthesizer wiederholt unendlich einige simple Bassfiguren und Riffs, und erst in der zweiten Hälfte des Stücks kommt Göttsching mit seiner elektrischen Gitarre dazu. Wie in Stücken der amerikanischen Minimal Music, ist es die Interaktion zwischen den einzelnen musikalischen Elementen und die sich allmählich aufbauende Spannung, die das Stück interessant macht und den Zuhörer in einen tranceartigen Zustand versetzten kann.

TILMAN BAUMGÄRTEL

Zum 25-jährigen Jubiläum wird Göttsching „E2-E4“ morgen zum ersten Mal live aufführen. Im Berliner Club Berghain, Am Wriezener Bahnhof. Beginn 22 Uhr