Der Nacht den Spirit geben

Onur Özer bringt fern- und nahöstliche Rhythmik mit Minimal-Techno zusammen. Nach Istanbul kommt der DJ nur noch zum Ausschlafen, denn musikalisch fehlt ihm hier die Experimentierfreude

Onur Özer will nicht nur zur „In-Crowd“ des DJ-Jetsets gehören, eher sucht er nach Freiräumen für seine Kunst

VON KIRSTEN RIESSELMANN

Bis weit in den Februar hinein ist er jetzt schon ausgebucht, jede Freitag- und Samstagnacht ein Termin, immer irgendwo in Europa. Berlin, London, Barcelona, Zürich. Und irgendwann jetzt im Dezember legt er noch mal in Istanbul auf. Zu Hause. Eigentlich kommt Onur Özer hier nur noch her, um sich unter der Woche auszuschlafen, seine Freundin zu sehen und in seinem Studio Musik zu machen.

Ansonsten interessiert ihn die Stadt nicht mehr. Als wir uns treffen, fällt ihm spontan keine Bar ein, in die wir uns setzen könnten in Beyoglu, dem Amüsierviertel, wo sich eine Kneipe an die andere reiht. „Ich gehe hier nicht mehr aus“, entschuldigt er sich so, dass es nach etwas klingt, auf das er stolz ist: Er ist raus. Er kennt jetzt die richtigen Leute „in Europa“. Er hat ein Künstlervisum – Reisefreiheit für ein Jahr, davon können die meisten Türken seines Alters nur träumen. Er verdient verglichen mit anderen türkischen 26-Jährigen ein Heidengeld. Er sagt es so: „Ich habe es von einer Stadt aus, in der es bis heute noch keinen einzigen Vinyl-Plattenladen gibt, mitten rein in die Szene geschafft.“ Wenn er das sagt, schaut er unter seinem langen dunkelbraunen Pony, der so gut nach Hamburg oder Köln passt, ein bisschen scheu hervor. Gleichzeitig aber lächeln seine Augen über dem locker um den Hals geschlungenen Schal. Onur Özer weiß, wie weit er schon gegangen ist auf seinem Weg, der ihn stetig näher heranbringt an seine Idole: Luciano, Ricardo Villalobos, Laurent Garnier, Jeff Mills.

Fragt man Leute in Istanbul nach Onur Özer, bekommt man meistens Fragezeichen in Gesichtern zurück. Bei einer Party in einem poshen Hafenclub in Karaköy Mitte Oktober, als er um halb drei die Decks übernimmt, um das Finish des Abends zu erledigen, hat er nur zwanzig Menschen auf der Tanzfläche. In Berlin hat Onur Özer in diesem Sommer auf der Haupttribüne der Loveparade vor Hunderttausenden gespielt. Das Musikmagazin Groove erklärte ihn zu einem der DJ-Newcomer 2005. Fragt man Onur Özer nach dem Grund für die Diskrepanz zwischen seiner Reputation im europäischen Ausland und in seiner Heimatstadt, zuckt er resigniert mit den Schultern. „Ich habe mich derart angestrengt, das Beste in die Stadt zu injizieren, aber ich bin’s leid mittlerweile.“

Er ist überzeugt, dass Istanbul nie begreifen wird, wie man sich für „die richtige“ Musik interessiert und wie man das Ausgehen so betreibt, dass man sich nicht nach einmal Pillenschlucken schon anfängt zu langweilen. „Es ist einfach nicht ihre Kultur“, sagt er und klingt dabei ein bisschen so wie viele bourgeoise Einwohner dieser Stadt, die mit „den Türken“ am liebsten nichts zu tun hätten. Vor allem aber klingt er nicht wie die ganzen Fatih-Akin-Jünger, die nicht ablassen vom Beschwören des Istanbuler Nachtlebens und seiner musikkulturellen Vielfalt.

Dabei fing es auch für die elektronische Clubkultur vielversprechend an. Um 1999/2000 herum, da gab es zwei kleine Clubs, die Istanbul zur House-Adresse machten, erzählt Onur Özer. In dem einen der beiden Läden hat er selbst angefangen mit der Auflegerei, direkt vier Stunden vor 600 Leuten, ohne einen einzigen Übergang zu verpatzen. „Ich mache nie Fehler beim Auflegen“, sagt er, und es klingt nach einer Feststellung. In seinen Jahren als Istanbuler DJ holte er namhafte europäische Plattenaufleger in die Stadt, später vor allem in den Club Indigo. Immer noch stolz ist er über diese Nacht, als er Zip und Ata von Perlon sowie Ricardo Villalobos und Tobi Neumann gemeinsam am Start hatte. Als dann zwei, drei Jahre später die kleinen Clubs schlossen, weil nicht mehr genug Leute kamen, und das Indigo zum allzu kommerziellen Tanztempel wurde, standen Onur Özers Kontakte: 2003 lud ihn die Kölner Kompakt-Posse zum ersten Mal nach Deutschland ein. Er spielte die ganze Nacht im Studio 672.

Überhaupt Deutschland. Ohne die deutschen Touristen, die dem Teenager im Sommerurlaub in Antalya Anfang der Neunziger ihre Techno-Kassetten kopiert hätten, wäre nichts so gekommen, wie es jetzt ist. Seitdem ist Onur Özer angefixt. „Ich habe seit 1993 davon geträumt, bei der Loveparade aufzulegen.“ Zunächst aber musste er in Istanbul an neue Musik kommen: Die bestellte er per Mailorder und später übers Internet. Denn es stimmt, dass es in der 15-Millionen-Stadt kein frisches Clubmusik-Vinyl zu kaufen gibt – zu teuer der Import, die Plattenläden haben sich sämtlich auf Second-Hand-Sammler orientiert. Für Onur Özer ist deswegen ein gut bestückter Plattenladen, wie man ihn in Deutschland an jeder Ecke findet, „anstrengend“ – er hält sich lieber „in meinen Ecken“ im Netz auf.

Und natürlich hinter den Decks. Als er erzählt, wie großartig er es findet, die Stimmung einer Nacht zu ertasten und in ein zwingendes DJ-Set zu transformieren, begreift man: Hier will jemand nicht einfach nur zur „In-Crowd“ des internationalen DJ-Jetsets gehören, hier will jemand Freiräume haben, um seine Kunst auszuüben. Eine Kunst, die versiert Sounds schichtet, die den Ohren gleichermaßen wie den Beinen Futter gibt. Über dümmliche Reaktionen – rumstehen und reden, solange die Bassdrum weg ist, zum Beispiel – rümpft er angeekelt die Nase. Von Istanbul ist er keine anderen Reaktionen gewohnt. Deswegen will Onur Özer auch irgendwann, bald, nach Berlin.

In Berlin wiederum sitzt Vakant, sein Label, das bereits zwei seiner EPs und ein gemeinsam mit Mathias Kaden fabriziertes Mix-Album veröffentlicht hat. Im April nächsten Jahres soll dort auch sein erstes Solo-Album rauskommen. Die Arbeit daran macht ihm großen Spaß: „Ich kann etwas Intelligenteres, Instrumentaleres und Spirituelleres liefern als einen Dancefloor-Filler.“ Zur Zeit beschäftigt er sich mit den perkussiven Strukturen südamerikanischer, nah- und fernöstlicher, aber auch traditioneller türkischer Musik. Und mit Pink Floyd. Dafür, dass sich sein noch junges Label Vakant einen bereits sehr festen Platz auf dem Minimal-Sektor erobert hat, hören sich diese Einflüsse fast verspielt an.

Für Onur Özer aber ist sein Beruf kein Spiel. Funktioniert ein selbst produzierter Track nicht im Club, wandert er sofort in den Müll. Auch die chronischen Begleiterscheinungen des DJ-Jobs – die Einsamkeit der Hotelzimmer, der ewiggleiche Smalltalk mit Bookern und Clubbetreibern – schrecken ihn nicht. Das Unangenehmste, das ihm bislang passiert ist, liegt gerade erst ein paar Wochen zurück: Da legte er in Hannover fast nur vor Deutschtürken auf, die wohl von seinem türkischen Namen in den Club gelockt worden waren. Als sie anfingen, türkisch-nationalistische Slogans zu skandieren – „Das war wie im Fußballstadion!“ –, hat Onur Özer ausnahmsweise mal etwas früher aufgehört.