Sisterlocks oder Microbraids?

AFROPOLITAN Die nigerianisch-amerikanische Autorin Chimamanda Ngozi Adichie bringt in ihrem Roman „Americanah“ auf so glänzende wie unterhaltsame Weise Rassismuskritik und Lifestyle zusammen

VON KATHARINA GRANZIN

Neben anderem Zeug – also Rassismus in der US-amerikanischen Gesellschaft, Liebe, Einsamkeit und ähnlichem Romangedöns – handelt dieser Roman immer wieder von Haaren. Was Sie schon immer über die Haare afrikanischer Frauen wissen wollte, sich aber nie zu fragen trauten: Bei Chimamanda Ngozi Adichie erfährt man einiges davon.

Es gibt Frauen, die ihr Haar „auf natürliche Weise verdrillt“ tragen, als „Heiligenschein von Spiralen um ihre Gesichter“. Frau kann sich aber auch entscheiden für: Sisterlocks, Microbraids, Cornrows, sicher Dutzende anderer Flechtmethoden, die im Buch nur nicht erwähnt werden, oder natürlich einen Teeny Weeny Afro. Und in den USA lautet die Gretchenfrage für alle schwarzen Frauen: Wie hältst du’s mit dem Glätten?

Geglättet oder nicht geglättet, das afroamerikanische Frauenhaar ist sowohl Identitätsfrage als auch gesellschaftliches Statement. Die Frau des amerikanischen Präsidenten, auch das bekommt man hier erklärt, könnte natürlich niemals einen Afro tragen. Für Ifemelu, die Hauptfigur von „Americanah“, sind Frisurenwechsel jedenfalls ein Riesenthema. Bevor sie nach 15 Jahren USA wieder nach Nigeria zurückkehrt, lässt sie sich in einer sechsstündigen Sitzung die Haare zu Medium Kinky Twists verarbeiten.

„Americanah“ lautet der nigerianische Terminus für Rückkehrer aus den USA. Nur der kleinste Teil des Romans allerdings handelt von Ifemelus Rückkehr; hauptsächlich erzählt er von einer jungen Nigerianerin, die es mehr aus Zufall als aus eigener Ambition in die USA verschlägt, die es zuerst schwer hat, später eine erfolgreiche Bloggerin wird und auf dem Höhepunkt ihres Erfolgs alle amerikanischen Bindungen löst, um nach Nigeria zurückzukehren, in das sie all die Jahre keinen Fuß gesetzt hat.

Obinze, ein ernster Mann

Außerdem ist „Americanah“ die große Liebesgeschichte von Ifemelu und Obinze, die sich noch zur Schulzeit kennen und lieben lernen und sich zunächst auch nicht wirklich trennen, als Ifemelu in die USA geht. Die bitteren Anfangserfahrungen jedoch, die Ifemelu macht, bewirken, dass sie in eine Depression fällt und Obinzes Briefe nicht mehr beantwortet. Obinze wiederum, ein ernster, belesener junger Mann, muss seinerseits das traumatische Erlebnis verkraften, aus Großbritannien abgeschoben zu werden, und kommt eher zufällig in Nigeria zu großem Reichtum. Er heiratet eine wunderschöne Frau und wird Vater. Als Jahre später auch Ifemelu wieder in Lagos auftaucht, wird klar, dass eine Entscheidung fallen muss.

Es sind keine Melodramen, von denen Adichie erzählt, sondern es ist nur das ganz normale Leben. Deshalb lässt sich die Handlung dieses Romans leicht zusammenfassen. Sein Reiz liegt darin, dass die Entwicklung seiner Hauptfigur gleichsam unmerklich vonstatten geht – und in der Tatsache, dass er mit Ifemelus Werdegang eine fast märchenhafte Einwanderersaga erzählt, während die Lebensgeschichten von anderen, Ifemelu nahestehenden Personen keineswegs ähnlich erfolgreich verlaufen.

Ifemelus geliebte Tante Uju etwa, die in Nigeria die Geliebte eines hohen Tiers gewesen und nach dem Tod des Geliebten von dessen Verwandtschaft verjagt worden war, flieht mit ihrem kleinen Kind in die USA. Dort gelingt es ihr, ökonomisch und sozial als Ärztin Fuß zu fassen, doch auf der Suche nach einem neuen Mann greift sie wiederholt daneben. Ihr Sohn, der Ifemelu sehr nahesteht, versucht als Teenager Selbstmord zu begehen.

Ifemelu dagegen, jünger und schöner als Uju, hat mit den Männern mehr Glück, lebt mit einem Vertreter des weißen Geldadels zusammen und findet später einen ihr intellektuell ebenbürtigen Afroamerikaner, der für sie aber keine wirklich tiefen Gefühle hat. Ihr Zusammensein ist, könnte man sagen, eher politisch motiviert: „Ihr Sex war leidenschaftslos, doch es gab eine neue Leidenschaft, die sie auf eine bislang unbekannte intime Weise vereinte, es war eine gelöste, unausgesprochene, intuitive Intimität: Barack Obama.“

Riesenthema Obama

Auch Obama ist ein Riesenthema in diesem Buch, und die Intensität, mit der die Romanfiguren im Vorfeld der Präsidentenwahlen über seine Chancen diskutieren, ist immens. Da lässt sich noch einmal nachspüren, wie aufregend das alles gewesen sein muss. Selten oder noch nie ist einem auf so unterhaltsame Weise nahegebracht worden, wie die Frage der Hautfarbe – oder, wie man drüben sagt, der Rasse – den Alltag und das Lebensgefühl der Schwarzen (soll heißen: der Afroamerikaner und der eingewanderten Afrikaner) in den USA bestimmt. In Nigeria habe sie sich nie schwarz gefühlt, erklärt Ifemelu, die in ihrem Blog sowohl über Rassismus in der amerikanischen Gesellschaft schreibt als auch über das passende Shampoo für das Haar schwarzer Frauen.

Ifemelus Blog ist ein kluger dramaturgischer Kniff der Autorin, denn damit eröffnet sie sich die Möglichkeit essayistischer Einschübe allgemeiner Art. Auch diese lesen sich, wie der Roman insgesamt, unterhaltsam und geistreich. Adichie ist eine Autorin, die zu viel Humor besitzt, als dass ihre Gesellschaftskritik je ins Bittere abgleiten würde.

Allerdings hat ihre an der Oberfläche der Dinge angesiedelte, sehr lebendige Erzähl- und Beschreibungskunst durchaus etwas von Lifestyle-Literatur. Für die Psychologie ihrer Romanpersonen interessiert sie sich wenig. Untiefen, die sich unter der glänzend beschriebenen Oberfläche andeuten, lassen sich allenfalls erahnen; und letztlich muss man wohl auch feststellen, dass sogar die Frisurenfrage im Verhältnis zu anderen gesellschaftlichen Verwerfungen doch eher ein Luxusproblem darstellt.

Andererseits ist eine schwarze amerikanische Lifestyle-Literatur durchaus etwas Neues. Auch an dem großen Erfolg, den Chimamanda Ngozi Adichie gerade hat – „Americanah“ verwies bei der Verleihung des diesjährigen National Book Critics Circle Award sogar den gehypten „Distelfink“ von Donna Tartt auf den zweiten Platz –, lässt sich ablesen, wie sehr Obamas Präsidentschaft die amerikanische Gesellschaft schon verändert hat.

Adichie selbst allerdings, die abwechselnd in den USA und in Nigeria lebt, ist genau wie ihre Protagonistin nie wirklich Amerikanerin geworden. Wenn ihr Ehemann nicht in Baltimore arbeiten würde, so sagte sie in einem Interview mit dem Guardian, so würde sie am liebsten ganz in Lagos leben und nur zum Shoppen nach Amerika fliegen.

Chimamanda Ngozi Adichie: „Americanah“. Aus dem Englischen von Anette Grube. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2014, 608 S., 24,99 Euro