Schatz in der Holzkiste

AUSSTELLUNG Die Architektenkammer Niedersachsen zeigt Grafiken unbekannter Bauhaus-KünstlerInnen

Bei dem Wort Bauhaus denken zumindest Bildungsbürger nicht an den Heimwerkermarkt sondern an die Kaderschmiede des Neuen Bauens, die 1919 unter Walter Gropius in Weimar eröffnete. Rund 1.200 Studierende durchliefen diese staatliche Institution, die 1925 nach Dessau übersiedelte und ab 1932, bis zur Schließung 1933 durch die Nationalsozialisten, noch einen reduzierten, privaten Lehrbetrieb in Berlin aufrechterhielt.

Auch das Wissen um ihre Heroen, neben Gropius etwa Mies van der Rohe, Paul Klee, Lyonel Feininger, Wassily Kandinsky oder auch Lilly Reich ist verbreitet, ihr Werk erforscht. Ganz anders sieht die Situation für die Masse der Bauhäusler aus. Hier wurde wenig oder nur punktuell gesichtet, man ist auf Zufälle angewiesen, um Biografie und Wirken Einzelner zu rekonstruieren.

Einen echten Zufallsfund – 50 grafische Blätter und persönliche Dokumente aus der Bauhauszeit in Weimar – zeigt derzeit die Architektenkammer in Hannover. Mitarbeiterin Ute Massberg, promovierte Kunsthistorikerin aus Braunschweig, geht seit Jahren den Biografien erster Architektinnen im frühen 20. Jahrhundert nach. Ihre Forschung mündete in der Ausstellung „Die Neuen kommen!“, die 2005 in Wien gezeigt wurde.

Diese stieß dort beim Künstler T.S. Kuchazka auf Interesse. Er hatte in den 1980er-Jahren auf dem Flohmarkt eine Holzkiste erworben – nur unter der Bedingung, sie mitsamt Unmengen Papier in ihrem Inneren mitnehmen zu dürfen. Die Kiste verschwand in Kuchazkas Keller. 20 Jahre später registrierte er beim Aufräumen ihren Inhalt: über 100 grafische Arbeiten, Radierungen, Holzschnitte, Lithografien, Zeichnungen, Mischtechniken, Collagen und Fotografien. Kuchazka sicherte die Blätter, bemerkte, dass eine Fotografie der Bauhausschülerin Lilli Loebell, die er in der Architektinnen-Ausstellung gesehen hatte, einer Bleistiftzeichnung aus seinem Fundus ähnelte. Der Kontakt zu Maasberg wurde geknüpft, sie nahm sich nun der Sache an.

Die teils signierten und datierten Blätter führen zum frühen Bauhaus: Peter Keler aus Kiel, der Ungar Farkas Molnár, Kurt Schwerdtfeger, Lilli Loebell aus Dresden, Fritz Schleifer, Ludwig Hirschfeld-Mack – sie alle waren Studierende in Weimar. Biografische Spuren und Arbeiten führen aber auch in den Norden: Peter Keler (1898-1982) entwickelte unter Walter Gropius die Farbgestaltung der Büroetage im Fagus-Werk, Alfeld an der Leine. Kurt Schwerdtfeger (1897-1966) übernahm 1946 eine Professur an der pädagogischen Hochschule Hildesheim, Abteilung Alfeld, Fritz Schleifer (1903-1977) eine an der Hochschule für bildende Künste Hamburg. Weitere Blätter stammen von Künstlern, die sich im Umfeld des Bauhauses bewegten, wie Wilhelm Höpfner aus Magdeburg. Er arbeitete dort in den 20er-Jahren, zusammen mit Loebell (1905-95) an der farbigen Fassung reformerischer Architekturen unter Stadtbaurat Bruno Taut.

Woher die Blätter stammen, ob es sich um persönliche Erinnerungen oder Geschenke unter Studienfreunden handelte, ob sie dem Nachlass eines Bauhäuslers entsprangen und wie sie ihren Weg nach Wien fanden – niemand weiß es. Für Maasberg sind sie daher vorrangig Anlass, über biografische Verflechtungen, Kooperationen und erhaltenes Wirken von Bauhäuslern im Norden zu sinnieren. So wäre da Architekt Otto Haesler in Celle, er war Teil des Netzwerkes um Walter Gropius. In seinem Büro arbeiteten junge Bauhäusler. In Hannover, Braunschweig und Oldenburg wird man fündig. Hier waren es Hermann Gautel und Hin Bredendiek, die ab den 1930er-Jahren als Gestalter modernen Mobiliars tätig wurden.

Selbst fünf Jahre vor dem 100-jährigen Jubiläum des Bauhauses wartet also noch jede Menge Unbekanntes und Zufälliges auf Deutung, der Nachlass der legendären Institution scheint noch lange nicht erschöpft. BETTINA MARIA BROSOWSKY

„Unbekannte Grafik aus dem Bauhaus. Die Wiederentdeckung des Experiments“: bis 20. Juni, Architektenkammer Niedersachsen, Hannover, Friedrichwall 5