Sprung auf den Markt

PROFESSIONELL An den Kunsthochschulen studieren viele Frauen, wenige setzen sich am Markt durch. Ein Berliner Projekt will das ändern

In Workshops lernen die Teilnehmerinnen, wie man Websites und Bewerbungsmappen gestaltet

„Die Statistiken sind zum Kotzen“, bringt es Birgit Effinger auf den Punkt. Gemeinsam mit Hannah Kruse leitet sie das Künstlerinnenprojekt „Goldrausch“, das seit 20 Jahren eine besondere Position im Spannungsfeld von Mythos und Markt einnimmt. Als Professionalisierungsprojekt angelegt, setzt es sich zum Ziel, die Präsenz von Frauen im Kunstbetrieb zu stärken. Denn noch immer geraten angehende Künstlerinnen ins Hintertreffen, sobald sie ihr Studium abgeschlossen haben. Sind sie an der Kunstakademie noch in der Überzahl, sinkt ihre Anzahl am Kunstmarkt rapide, wo sie im Durchschnitt auch geringere Verkaufspreise erzielen. Zu etablierten Ausstellungen werden sie seltener eingeladen, die Jurys sind von Männern dominiert.

Dagegen setzt Goldrausch ein einjähriges Postgraduiertenseminar, „in dem profilierte Künstlerinnen am Beginn ihrer Karriere arbeitsfeldspezifisches Fachwissen erwerben“. Strategische Profilierung, Karrieremanagement, Vernetzungsstrategien sind die Instrumente. Management statt Romantik. So lernen die Künstlerinnen in Workshops, wie man Websites und Bewerbungsmappen gestaltet oder Steuererklärungen formuliert. Darüber hinaus werden in Gruppengesprächen mit KuratorInnen, JuristInnen oder GrafikerInnen Fragen wie „Wie sieht mein Marktwert aus?“, „Wie kann ich mich am Markt positionieren?“ oder „Wie finde ich die richtige Galerie?“ diskutiert. Die Darstellung, nicht die Herstellung von Kunst steht im Vordergrund, ein Stück Realität soll vermittelt werden. „Natürlich geht es auch um eine Intensivierung der künstlerischen Positionierung, in erster Linie soll aber die Berufstätigkeit gestärkt werden“, sagt Birgit Effinger. So ist es nur logisch, dass nicht der Kultursenat, sondern die Berliner Senatsverwaltung für Wirtschaft, Technologie und Frauen das als berufsbildende Maßnahme angesetzte Projekt von Beginn an finanziert.

Wie jedes Jahr endet das Seminar mit einer großen Gruppenausstellung. Der diesjährige Titel „Glass Crash Feeling“ spielt dabei auf die „gläserne Decke“ in der Kunstszene an, die aufgebrochen werden soll. Erstmals findet die Ausstellung in den Räumen privatwirtschaftlicher Galerien statt, in diesem Fall den Berliner Galerien September und Barbara Thumm. Kein leichtes Unterfangen für die Künstlerinnen, nach Ausstellungsorten wie dem Künstlerhaus Bethanien oder dem Marstall. Selektion und Reduzierung ist die Maßgabe.

Kym Ward hat sich für eine Performance in der Galerie September entschieden. In der Mitte des Raumes sitzt sie an einem unerbittlich laufenden Fließband und versieht eine Art Minikatalog handschriftlich mit wechselnden Kommentaren. Kreativität am laufenden Band. Wo bleibt da der Wert des Kunstwerkes? Während sie stumm und stumpf nach und nach ihre Werke fertigstellt, erscheint hinter ihr eine reliefartig verdichtete Text-Bild-Collage, gefertigt aus Kohle, Tusche, Farbe und Bleistift. „Nur mit Bewusstsein begabte Organismen können überragende Irrationalität an den Tag legen“ heißt diese Assemblage von Karen Scheper, die inspiriert von Filmszenen und Science-Fiction-Sequenzen von Philip K. Dick bruchstückhaft einzelne Elemente aus Wörtern, Buchstaben und gesichtslosen schraffierten Figuren zusammensetzt, überlagert, verdichtet, um sie dann fernab der traditionellen Bildordnung fast parasitär auswuchernd in der Wand verschwinden zu lassen.

Anne Kathrin Greiner ist eigentlich Fotografin. Nun hat sie ihren ersten Kurzfilm gedreht: „Keimkasten 3“, der im Schaulager der Galerie Barbara Thumm läuft. Hier reflektiert die Künstlerin ihre Vorstellung von einer Welt ohne System. Es ist ein leiser, aber souveräner Film geworden, der einen sozialisierten Menschen zeigt, ausgeklinkt aus der gewohnten Gesellschaftsordnung, hineingeworfen in eine ihm fremde Welt. „Mir war es wichtig zu hinterfragen, was ist eigentlich normal? Was sind die Regeln und wer stellt diese auf?,“ erklärt die Künstlerin und fügt hinzu: „Ursprung und Motivation dieses Films waren sicher eine Art Rebellion.“ Ein toller Film ist entstanden, der Selbstverständlichkeiten in Frage stellt und dazu anregt, den eigenen Kopf abseits von Konformität und gängigen Verhaltensstrukturen einzuschalten.

Das Goldrausch-Jahr war für Greiner nicht nur künstlerisch von Belang: „Ich habe in London studiert. Das Jahr hier in Berlin hat mir neue wichtige Kontakte zur Kunstszene erschlossen. Und was selten, aber wichtig ist: Ich habe Künstler und Kuratoren aus den unterschiedlichsten Disziplinen kennen gelernt.“ Damit spricht sie ein wichtiges Ziel der Goldrauschleiterinnen für die Zukunft an: die Vernetzung innerhalb des eigenen Kunstfeldes, aber auch interdisziplinär über dessen Grenzen hinaus.

Birgit Effinger beobachtet derzeit eine ansteigende Ausdifferenzierung der Szenen und Subszenen: „Die einen wissen nicht mehr, was die anderen machen. Jede Ausstellung hat ihr Spezialpublikum. Die Kommunikation zwischen den Szenen liegt brach. Das muss sich ändern.“ SIMONE JUNG

■ Glass Crash Feeling: bis 18. Dezember, Galerie September, Schaulager Galerie Barbara Thumm 15 Kataloge in der Box, argobooks Berlin 20 Euro