Richter verweigern Stellendiktat

taz-Serie „Koalition unter der Lupe“ (Teil 6): Sechs statt vier Kammern am Landgericht sollen künftig für Wirtschaftskriminalität zuständig sein. Doch das rot-rote Versprechen stößt bei Richtern auf Kritik

VON PLUTONIA PLARRE

Das Verbrechen boomt. Fast 14.000 Verfahren von Wirtschaftskriminalität sind in diesem Jahr bei der Staatsanwaltschaft am Landgericht in Moabit aufgelaufen. 2001 waren es nur halb so viele. Der Senat hat das Problem erkannt. Zwei zusätzliche Wirtschaftsstrafkammern versprechen SPD und Linkspartei in ihrem Koalitionsvertrag. Sechs statt bisher vier Gerichtsteams sollen die Fälle abarbeiten. Und dennoch sind die Robenträger am Landgericht alles andere als zufrieden. Sie sehen sich in ihrer richterlichen Unabhängigkeit beeinträchtig.

„Das ist die typische Hybris von Politikern“, kommentiert ein Richter die Koalitionsvereinbarung. Denn die Politik darf zwar neue Richterstellen schaffen, aber nicht darüber verfügen, wo das Personal zum Einsatz kommt. Auch nicht darüber, ob Straf- und Zivilkammern eingerichtet oder geschlossenen werden.

Die Entscheidung über den so genannten Geschäftsverteilungsplan trifft einzig und allein das Präsidium des Landgerichts. Das aus zehn Richtern und dem Präsidenten des Landgerichts bestehende unabhängige Gremium tagt geheim und ist niemandem zur Rechenschaft verpflichtet. „Wir können sowohl in der Strafgerichtsbarkeit als auch in der Zivilgerichtsbarkeit Verstärkung gebrauchen“, sagt Landgerichtspräsident Bernd Pickel diplomatisch. Mehr möchte er zu dem Thema nicht sagen.

„Das ist ein ganz heißes Eisen“, verlautet aus Ermittlerkreisen. Ginge es nach Staatsanwälten der Wirtschaftsabteilung, würden die beiden neuen Kammern besser heute als morgen aufgemacht. Denn die derzeit vier Teams mit je drei hauptamtlichen Richtern und zwei Schöffen sind ausgelastet. Grund sind die Einführung des Geldwäscheparagrafen, der Bankenskandal, Pleitewellen, Insolvenzverschleppung, Subventionsbetrug, Korruption sowie die Vergrößerung der Ermittlungskapazitäten bei Zoll- und Steuerfahndung. Zudem sind Wirtschaftsermittlungen kompliziert und langwierig. Bei so genannten Nichthaftsachen – hier sitzt der Beschuldigte nicht in Untersuchungshaft – vergehen zwischen Anklageerhebung und Prozessbeginn im Schnitt nochmals 20 Monate – in Einzelfällen dauert es gar bis zu fünf Jahren, erfuhr die taz aus gut unterrichteten Kreisen.

Die Angeklagten haben allen Grund, sich die Hände zu reiben. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs muss die Strafe gemindert werden, wenn sich der Prozessbeginn durch das Verschulden der Justiz verzögert. Um das zu verhindern, bringt die Staatsanwaltschaft Fälle, die eigentlich vor das Landgericht gehören, inzwischen sogar schon vor dem Amtsgericht zur Anklage. „Dort ist die Straferwartung zwar niedriger, aber wir erwirken wenigstens ein Urteil“, heißt es.

Dennoch gönnen keineswegs alle Richter ihren Wirtschaftskollegen die von der rot-roten Koalition verheißene Entlastung. Zwei neue Wirtschaftskammern? „Kommt überhaupt nicht in Frage“, steht für den Vorsitzende des Deutschen Richterbundes, Landesverband Berlin, Peter Faust fest. Faust ist Mitglied des Landgerichtspräsidiums. Und dessen Haltung sei ziemlich eindeutig. „Es gibt dringendere Baustellen als die Wirtschaftskammer“, sagt Faust. Zum Beispiel die Jugendkammern: „Dort ist wirklich Land unter.“

Noch größer sei die Belastung der Zivilkammern, sagen Justizkenner. „Die Zivilrichter pfeifen aus dem letzten Loch.“

Unabhängig von der Frage, wer die Verstärkung am nötigsten hat, wird bezweifelt, dass sie überhaupt kommt. Faust ist zu lange im Geschäft, um an eine Personalverstärkung für das Landgericht zu glauben. Es habe schon mal eine ähnliche Zusage seitens der Politik gegeben, erinnert er sich. Aber dann seien die für die Jahre 2005/2006 versprochenen Stellen „urplötzlich“ im „haushaltsrechtlichen Nirwana verschwunden“.