Wegducken und Vorbeireden

Aktuelle Stunde zu Hartz-Gesetzen: Die Union drückt sich vor Festlegungen, wie sie mit der Rüttgers-Forderung nach mehr Arbeitslosengeld für Ältere umgehen will

BERLIN taz ■ Die Gelegenheit war günstig. Selten hatte es die Opposition so leicht wie gestern, die Regierung in Schwierigkeiten zu bringen. Sie musste nur eine Forderung zitieren, mit der ein prominenter Politiker der Regierungspartei Union derzeit hausieren geht: Ältere Arbeitslose sollen mehr Geld bekommen.

Dieser Vorschlag des CDU-Vize Jürgen Rüttgers ist politisch eine Bombe. Was er verlangt, ist in der Koalition umstritten, aber extrem populär. „Mehr Arbeitslosengeld für Ältere?“, fragte beispielsweise der Chefredakteur des Stern in der aktuellen Ausgabe seines Magazins und gab auch gleich die Antwort: „Ja!“ Gerade weil Rüttgers bei vielen so gut ankommt, hat er die eigene Partei verwirrt – und die Führung der SPD gegen sich aufgebracht. Vizekanzler Franz Müntefering sprach von einer „Sauerei“ und rief seine Genossen auf, Rüttgers und dessen Unterstützer zu bekämpfen. „Auf sie mit Gebrüll“, sagte Müntefering in der SPD-Fraktion. Was also hätte für die Opposition näher gelegen, als die Regierungsparteien zu zwingen, ihre Konflikte bloßzulegen.

Dazu kam es jedoch nur begrenzt. Die Ankündigung der Aktuellen Stunde löste rechtzeitig Bombenalarm aus. Wegducken hieß die Devise. Union und SPD schickten Redner aus der zweiten Reihe – und diese hatten es leicht, am eigentlichen Reizthema vorbeizureden. Denn unverständlicherweise schrieb die Linksfraktion nicht die aktuelle Rüttgers-Forderung nach höherem Arbeitslosengeld für Ältere in die Tagesordnung. Stattdessen beantragte sie eine Debatte „zur Frage der Praxistauglichkeit der Hartz-Gesetze und der Erforderlichkeit einer Generalrevision“. Kein Wunder, dass die meisten Regierungspolitiker über die umständliche Überschrift der Sozialisten spotteten, gar nicht auf Rüttgers’ aktuelle Forderung eingingen, sondern die Notwendigkeit einer „Generalrevision“ verneinten. Schließlich sei die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt doch erfreulich.

Die Abgeordneten der Union drückten sich vor der Festlegung, wie sie mit der Forderung ihres Parteifreunds Rüttgers umzugehen gedenken, obwohl dessen Antrag für längeres Arbeitslosengeld für Ältere auf dem CDU-Parteitag Ende November gute Chancen hat. Schon gar nicht erwähnten sie, dass Rüttgers zur Finanzierung Kürzungen bei jüngeren Arbeitslosen vorschlägt. Ebenfalls unerwähnt blieb, dass künftig verstärkt Eltern für ihre Kinder und Kinder für ihre Eltern zahlen sollen, bevor der Staat Sozialleistungen auszahlt.

Diese Schattenseiten des Rüttgers-Plans sind es, die SPD – und übrigens auch die Grünen – zu genereller Ablehnung seiner Vorschläge bewegen. Was Rüttgers wolle, habe „mit Sozialdemokratie nichts zu tun“, sagte der SPD-Mann Anton Schaaf. „Sozialdemokraten würden nie Generationen gegeneinander ausspielen. Sozialdemokraten würden nie Sippenhaft einführen.“

Einzig die Linksfraktion in Person von Gregor Gysi und WASG-Chef Klaus Ernst widersetzten sich der Regierungslogik, wonach man bei einer Anhebung des Arbeitslosengeldes automatisch bei anderen Arbeitslosen sparen müsse. „Wir haben doch das Geld, wir müssen es nur anders verteilen“, rief Gysi und verwies auf gestiegene Steuereinnahmen und Überschüsse der Bundesagentur für Arbeit. Es sei „sozial unerträglich“, dass die Regierung den Konzernen durch die Unternehmensteuerreform 8 Milliarden Euro schenke, aber Arbeitslosen höchstens auf Kosten anderer Arbeitsloser mehr Geld zukommen lassen wolle.

LUKAS WALLRAFF