Genossin Energiewende

SELBSTVERWALTUNG Vor allem in Baden-Württemberg werden viele Genossenschaften gegründet. Energiegenossenschaften fördern Solarstrom und organisieren vor Ort die Ökowende.

Genossenschaften boomen, weil viele die Energiewende lokal voranbringen wollen

VON BERNWARD JANZING

Eine alte Gesellschaftsform erlebt eine neue Blüte – die Genossenschaft. Häufig geht es dabei um das Thema Energie: Von einer „Gründungswelle insbesondere von Energie- und Gesundheitsgenossenschaften“ spricht derzeit der Genossenschaftsverband mit Sitz in Neu-Isenburg.

In Baden-Württemberg zum Beispiel wurde im Jahr 2009 mit 34 neu gegründeten Genossenschaften ein Rekordwert erreicht. 16 davon waren Bürger-Energiegenossenschaften. Weitere Tätigkeitsfelder waren der Gesundheitssektor, etwa die stationäre Pflege oder Dorfläden. Im Jahr 2010 werde man die Zahl des Vorjahres vermutlich abermals überschreiten, sagt Reinhard Bock-Müller vom Baden-Württembergischen Genossenschaftsverband. Im Jahresverlauf seien bislang schon 28 neue Genossenschaften eingetragen worden, allein 19 davon entfielen auf den Energiesektor, überwiegend die Fotovoltaik.

Ein solches Beispiel ist die Ökumenische Energiegenossenschaft Horb in Württemberg. Bernhard Bok ist dort eine treibende Kraft. Er war vor seiner Pensionierung Vorstand der genossenschaftlich organisierten Volksbank in Horb. Und so war es für ihn keine Frage, auch den Ausbau der erneuerbaren Energien in der Stadt am Neckar genossenschaftlich voranzubringen. „Wir sind hier im Land der Genossenschaften“, erklärt Bok. Nirgendwo in Deutschland sei die Unternehmensform der Genossenschaft so stark vertreten wie im Ländle. In der kleinteilig strukturierten Landwirtschaft war seinerzeit Gemeinsinn gefragt, und so organisierte man sich in landwirtschaftlichen Genossenschaften.

Dieses Modell, damals häufig aus der Not geboren, findet heute aus anderem Grund wieder Freunde: Der Wunsch nach Bürgerbeteiligung und Selbstverwaltung wird immer stärker. Menschen suchen Alternativen zu unbekannten Investoren und der damit einhergehenden Fremdbestimmung. Oft sind Genossenschaftsbanken (Volksbanken und Raiffeisenbanken) an der Gründung beteiligt.

Das Spektrum der Energiegenossenschaften ist groß. In St. Peter im Schwarzwald zum Beispiel startet in diesen Wochen eine Genossenschaft die Wärmeversorgung im Ort. Im Sommer haben die Bürger entlang von Straßen und Wegen 4.800 Meter Rohrleitungen verlegen lassen, zudem 3.700 Meter Hausanschlüsse. Auf diese Weise wird fortan die Wärme aus einem Hackschnitzelkessel direkt in die Häuser geliefert – und Ölheizungen in Massen aus den Kellern geschmissen.

Um das zu realisieren, taten sich unterschiedliche Akteure zusammen, wobei jeder sein spezifisches berufliches Wissen einbrachte. Markus Bohnert, Vorstandsmitglied der Bürgergenossenschaft, ist als Förster tätig, andere Unterstützer kamen aus dem Heizungsbau, der Bauplanung oder dem Marketing.

Die Idee war im Jahr 2007 aufgekommen. Eine Umfrage unter allen Bürgern zeigte danach, dass die Menschen sehr aufgeschlossen waren. Auch Großabnehmer wollten dabei sein – die Gemeinde mit ihren Gebäuden, kirchliche Einrichtungen, Hotels und Restaurants im Ortskern. Also wurde die „Bürger Energie St. Peter eG“ gegründet.

Eine weitere prominente Energiegenossenschaft, die derzeit bundesweit von sich reden macht, ist die „Energie in Bürgerhand“ mit Sitz in Freiburg. Sie hat sich zum Ziel gesetzt, sich in kommunale Unternehmen einzukaufen, um dort die Ökowende voranzutreiben. Ursprünglich gegründet, um Teile des Stadtwerkekonzerns Thüga zu übernehmen, hat sie bereits 28 Millionen Euro eingesammelt. Und die Schönauer Stromrebellen, die in den 90er Jahren mit ihrer Netzkauf GbR die Gründung der Elektrizitätswerke Schönau betrieben, überführten im November 2009 die Gesellschafteranteile in eine Genossenschaft namens Netzkauf EWS eG.

Ausschlaggebend für den aktuellen Boom der Genossenschaften ist der Wunsch vieler, die Energiewende lokal voranzubringen – dafür bietet sich die Genossenschaft einfach an. Seit August 2006 gilt zudem ein neues Genossenschaftsgesetz, das die Gründung deutlich erleichtert. Seither benötigt man nur noch drei statt sieben Gründungsmitglieder. Auch die Zahl der Vorstandmitglieder kleiner Genossenschaften wurde reduziert. Und schließlich wurde die Rechtsform genossenschaftlicher Zusammenschlüsse auf Kultur und Soziales ausgedehnt, etwa auf Kitas und Pflegeeinrichtungen. Damit ist die Genossenschaft zu einer Massenbewegung geworden: In Baden-Württemberg, heißt es vom dortigen Genossenschaftsverband, sei heute jeder dritte Bürger ein Genosse.