Wehrlose Feuerwehr

Ab Januar dürfen die Einsatzkräfte nicht länger als 48 Stunden in der Woche arbeiten. Der Schutz bei Bränden ist dann nicht mehr gewährleistet, befürchtet die Gewerkschaft und fordert mehr Personal

von MARKUS WANZECK

Ganz Berlin redet vom Sparen. Michael Schombel fordert hingegen eine Aufstockung des Feuerwehrpersonals. Die, sagt der Vorsitzende der Bezirksgruppe Feuerwehr der Gewerkschaft der Polizei, sei auch nach dem Karlsruher Urteil bitternötig.

Denn ab 2007 tritt eine EU-Richtlinie in Kraft, die vorschreibt, dass Feuerwehrmänner nicht mehr als 48 Stunden in der Woche arbeiten dürfen. Derzeit sind viele von ihnen bis zu 55 Stunden in der Woche im Einsatz. Wenn das nicht mit einer Einstellungsoffensive ausgeglichen würde, befürchtet der Gewerkschaftler Schombel Schlimmstes vor allem bei Großbränden: „Das könnte letztlich so weit gehen, dass womöglich vereinbarte Schutzziele nicht mehr einzuhalten sind.“

Auslöser der Aufregung ist eine bereits einige Jahre alte EU-Richtlinie zur Arbeitszeitgestaltung. Aufgrund eines Beschlusses des Europäischen Gerichtshofes muss sie nun ab 1. Januar auch für Feuerwehren angewendet werden. Dazu kommt der Sparzwang: Außer der durchschnittlichen Arbeitszeit der Feuerwehrleute soll ab dem kommenden Jahr auch die Zahl der eingesetzten Lösch- und Rettungsfahrzeuge reduziert werden. Durch den Urteilsspruch des Bundesverfassungsgerichts, Berlin keine weitere Finanzhilfe zu gewähren, wird die Sorge um die Einsparungen bei der Feuerwehr noch angeheizt.

Auf den Feuerwachen macht sich angesichts der Reformpläne Verunsicherung breit, die allmählich auf die Bevölkerung überspringt. Im Wedding hat sich bereits eine Bürgerinitiative gebildet, die vor „beängstigenden Perspektiven für die Brandbekämpfung“ warnt. Der drohende faktische Arbeitskraftverlust ist auch für den Gewerkschafter Schombel Anlass zur Sorge. Ohne personelle Verstärkung könne die Feuerwehr ihrem Auftrag nicht mehr im bisherigen Umfang gerecht werden.

Der Feuerwehrleiter Wilfried Gräfling hält dies für eine Überdramatisierung der Lage. Derzeit kalkuliert er neue Einsatzkonzepte und Arbeitszeitmodelle durch. Zwar sei geplant, insbesondere nachts die Zahl der Einsatzfahrzeuge zu reduzieren. Dies solle aber durch geschickte Neustrukturierung der Feuerwachen keinerlei negative Auswirkungen auf die Einsatzfähigkeit der Feuerwehr mit sich bringen. „Ziel ist, dass künftig nicht weniger Feuerwehrleute, sondern mindestens gleich viele in weniger Fahrzeugen zum Einsatzort gelangen“, erklärte Gräfling. Er sieht darin ein Plus an Effizienz – und kein Handicap.

Dass im Zuge der Umstrukturierung auch einzelne Feuerwachen schließen müssen, möchte Gräfling nicht ausschließen: „In manchen Stadtteilen ist unser Feuerwachennetz sehr engmaschig gestrickt. Dort muss eine Ausdünnung geprüft werden.“ Der derzeitige Personalstand solle beibehalten werden. Er ist zuversichtlich, dass die Rechnung aufgeht. Mit einer Computersimulation werde anhand der Einsatzstatistik der vergangenen zwei Jahre kalkuliert, wie eine solche „Nullsummen-Umstrukturierung“ möglich ist. Ob sie überhaupt möglich ist, ist jedoch noch gar nicht klar. Die Berechnungen haben bislang kein tragbares Konzept zutage gefördert.

Den Optimismus des Feuerwehrchefs mag Schombel darum nicht teilen. Er warnt davor, den mit der Computersimulation gewonnenen Daten blinden Glauben zu schenken. Rund 250.000 Feuerwehreinsätze pro Jahr könnten zwar auf den ersten Blick als solide empirische Basis erscheinen. Drei Viertel davon sind allerdings Rettungseinsätze ohne Brandbekämpfung. Diese macht nur einen Bruchteil der Einsätze aus.

Als neuralgischen Punkt der computerbasierten Feuerwehrreform sieht Schombel die Großbrände. Sie passieren zu selten, um verlässlich statistische Größen zu liefern. Und: Sie passieren meist nachts – gerade dann, wenn die Zahl der eingesetzten Feuerwehrfahrzeuge am weitesten zurückgefahren werden soll.