Ein ausgezeichneter Fluss

Das Donaudelta ist „Landschaft des Jahres 2007“. Seit 1990 steht das Gebiet unter dem Schutz der Unesco mit dem Status eines Biosphärenreservats. Das dünn besiedelte Wasserlabyrinth ist doppelt so groß wie das Saarland. Besonders Vögel fühlen sich hier wohl. Die Menschen wandern ab

„Das Delta war ein Multikulti- und Vielvölkergemisch, das Vertriebenen oder religiös Verfolgten eine Chance bot“

von CHRISTEL BURGHOFF

Die Überraschung ist gelungen. Dass unser schwimmendes Hotel so komfortabel ist, hat keiner erwartet. Lange waren wir von Bukarest aus im Dunkeln unterwegs, sind schließlich auf ein Boot umgestiegen, das uns immer weiter gen Osten auf einem der großen Arme der Donau in Richtung Schwarzes Meer transportiert hat. Aus Dunkelheit wurde Schwärze. Die Stimmungslage: eher klamm.

Und jetzt begrüßt uns am Ufer dieser hell erleuchtete Luxus. Zum spätabendlichen Menü gibt es den örtlichen Wein, einen guten, trockenen Landwein. Die Nacht auf dem Hotelboot wird geruhsam. Ungewohnte Stille, gelegentlich ein sanftes Schwanken oder ein leises Blubbern, wenn draußen im Wasser ein Fisch springt oder sich eine kleine Welle am Schiff bricht.

Wir sind weit im Delta der Donau. Es ist ein Wasserlabyrinth auf einem Gebiet so groß, dass das Saarland zweimal bequem hineinpassen würde. Der Norden gehört zur Ukraine, ein kleiner Teil auch zu Moldawien, der Großteil jedoch zu Rumänien. Nur 25 Dörfer, insgesamt 15.000 Menschen, die hier lebten, erzählen unsere Gastgeber von der rumänischen Ökotourismus-Vereinigung (AER). Sie betreiben überwiegend die traditionelle Schilfwirtschaft, Fischfang und Jagd.

Seit 1990 steht das Delta unter dem Schutz der Unesco mit dem Status Biosphärenreservat. Nun hat die Naturfreunde Internationale (NFI, ihr Sitz ist Wien) für 2007 das Donaudelta zur „Landschaft des Jahres“ ausgewählt. Es ist die zehnte in einer Serie ausgesuchter Landschaften in europäischen Grenzregionen, die diese Auszeichnung erhält. Gemeinhin gelten diese Regionen als strukturschwach, aber als überaus reizvoll mit überwiegend intakter Natur, die idealen Gegenden also für einen sanften Tourismus. Die rumänischen Ökotouristiker und die international orientierten Naturfreunde haben das gemeinsame Interesse an einer nachhaltigen Entwicklung dieser Naturregion. Christian Baumgartner von der NFI meint, dass es dafür viele Möglichkeiten gebe, etwa den Ausbildungs- und Trainingssektor zu fördern, Naturguides auszubilden, das Delta länderübergreifend als einheitliche Region zu vermarkten. Die Zusammenarbeit mit der Ukraine sei jedoch noch eine Herausforderung, das sei praktisch Neuland.

Das Donaudelta ist ein Paradies für Vögel. Vor allem ist es ein Paradies für Vogelliebhaber. Als wir mit zwei kleinen Booten ins Labyrinth der Wasserarme aufbrechen, ist längst nicht klar, wie fantastisch vielfältig die Vogelwelt in diesem Dschungel ist. Weiße Silber- und Seidenreiher, Nachtreiher, braune Rallenreiher, schwarze Kormorane und andere Fischfänger harren an den Uferstreifen, am Himmel ziehen Fischadler und Schwärme von rosa Pelikanen ihre Kreise, Baumfalken und Dohlen hasten durch die Kronen der Weiden an den Ufern. Unser Glück ist, dass die meisten Vögel groß sind und dekorativ aufsteigen, wenn wir ihnen nahekommen. Die beiden rumänischen Vogelkundler haben sie immer schneller im Blick als wir unerfahrenen Städter. Und schnell muss man vor allem für den kleinsten und einzig schillernden dieser Fischfänger sein, den türkis-blauen Eisvogel, der blitzschnell durch die Wasserwelt irrlichtert. Hier gibt es mehr dieser seltenen Eisvögel als Spatzen.

Eine Ringelnatter im Wasser hätte außer den Biologen keiner entdeckt, ihr kleiner Kopf hat sie verraten. Interessanterweise wendet die Schlange, als wir abstoppen, und beäugt neugierig unser Boot. Schilfgürtel und die Wurzeln der Weiden säumen die Wasserarme, wir tuckern über Teppiche aus grüner Wasserpest, Teich- und Seerosen. Wo der Boden fest ist, grasen Rinder, sie folgen uns mir ihren Blicken. Wir sichten halbwilde Pferde, die, wie unsere Gastgeber erzählen, wie eh und je eingefangen und zu Zugpferden abgerichtet werden. Pferdewagen sind in Rumänien noch ein weit verbreitetes Transportmittel. Frösche über Frösche leben auf dem festen Boden und springen zu Dutzenden bei jedem Schritt auf, den man an Land macht.

Gemächlich durchfahren wir diesen Dschungel, schließlich erreichen wir einen der großen Seen, den Fortunasee. Ein flacher See, er liegt ruhig und glänzend im Sonnenlicht, tausende schwarzer Blesshühner und strahlend weißer Schwäne dümpeln auf der glänzenden Wasseroberfläche. Ein unwirklich schönes Bild. Und in dieses hinein schiebt sich wie eine Fata Morgana am gegenüberliegenden Ufer ein Schiff. Auch ein schwimmendes Hotel wie das unsrige, sagt Tiberius Tioc, Biologe und Reiseveranstalter, damit könne man hier tagelang unterwegs sein, ein Schleppboot transportiere es an wechselnde Liegeplätze.

Ortswechsel nach Crisan ins Fischerhaus des Petre Vasiliu. Der Ort liegt als langer schmaler Streifen am Ufer des Sulina-Armes der Donau. Petre vermietet eigene Räume und vermittelt die rund 70 Fremdenbetten im Ort. Ein Eckposten im Ökotourismusprogramm. Und Petre stellt Kanus zu Verfügung, mit denen man gleich hinterm Haus ins Schilf starten kann, tagelang. Ein- oder zweiwöchige geführte Kanutouren samt Zelt und Lagerfeuerromantik bei frisch gefangenem Fisch, oder Fotosafaris. Es klingt leicht und easy, so leicht, wie das Leben hier eben sei, meint Petre. Wohlgemerkt die eine Seite des Lebens im Delta. Denn die andere Seite sei hart. Schon wegen der Natur selbst. Mit dem Vogelgrippe-Alarm erreichten ihn unmittelbar die Stornierungen zweier Schweizer Reisegruppen, erzählt Tiberius Tioc. Für einen Ökotourismusveranstalter kann das die Katastrophe bedeuten. Ökotourismus ist ein Pflänzchen, das erst noch gepflegt werden muss.

So robust die Gruppe unserer rumänischen Gastgeber in ihrem Outdoor-Nato-Outfit wirkt, so empfindlich ist sie andererseits, wenn es um die Zukunft geht. Der EU-Beitritt Rumäniens im kommenden Jahr? „Wir sind hier noch nicht reif dafür“, so äußert sich entschieden Andrei Blumer, der Präsident der Ökotourismusvereinigung. Aus dem Westen kommen nicht nur engagierte Helfer wie die Naturfreunde oder der WWF oder die Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit oder die amerikanische Usaid und viele andere mehr, aus dem Westen kommen auch Wohlstandsmüll und neue Bedürfnislagen und Liberalisierungen.

Vieles sieht man nicht, etwa den giftigen Schlamm, der aus Wien oder Budapest bis ins Delta geschwemmt und hier im Schilf letztlich geklärt wird. Der Plastikmüll dagegen ist nicht zu übersehen – und schwerer zu entsorgen. Daran hapert es noch.

„Der Norden gehört zur Ukraine, ein kleiner Teil auch zu Moldawien, der Großteil jedoch zu Rumänien“

Vor allem seine rumänischen Landsleute hat Andrei Blumer im Blick, wenn er auf die Gefährdung der Natur durch neue Hotelansiedlungen im Naturschutzgebiet verweist oder die neuen schnellen Sportboote im Schilf ablehnt. Davon will man hier verschont werden, verschont werden auch vom beliebten Jagdtourismus.

Hinter Crisan geht nichts mehr, kein Pfad, keine Straße, die bis ans Meer führte. Das Vergnügen, Boot zu fahren, wird zur Notwendigkeit. Und unsere Bootsfahrt zu den nordöstlichen Naturschutzgebieten wird wieder zum zauberhaften Ausflug ins Wasserlabyrinth. Es endet für uns in Letea. Dieses Dorf liegt in der Nähe hoher Sanddünen und eines alten Waldes mit etlichen 600-jährigen Eichen.

Dass das traditionelle Gemeinschaftsleben auf dem Lande bröckelt, erschließt sich auf den ersten Blick. Viele Häuser stehen leer. Andrei Blumer bestätigt: Wer jung ist und kann, der geht. Geht gen Westen oder doch mindestens an belebtere Orte. Früher war es eher umgekehrt: Das Delta war ein Multikulti- und Vielvölkergemisch, das Vertriebenen oder religiös Verfolgten eine Chance bot. Ungarn, Griechen, Ukrainer, Moldauer und Russen lebten Dorf an Dorf oder an der Küste mit Rumänen. Vor allem die vor langer Zeit aus Russland vertriebenen „Altgläubigen“, die Lipowaner, haben die Region stark geprägt.

Im Dorf Letea probieren einige alte Männer den ersten jungen Wein des Jahres, der von ihren Feldern stammt. Sie schwatzen vor ihren Häusern mit den speziellen blauen Farben, eine rumänische Besonderheit. Neu im Dorf ist ein Traktor, von der Weltbank für touristische Zwecke gesponsert. Die Dorfbewohner hängen Wagen an und transportieren Besucher damit durch die Natur.

Was bringt die Zukunft noch? Leere? Verlassenheit? Oder vielleicht ein Ökodorf? Überlegungen dazu gibt es schon.

www.nfi.at (Naturfreunde Internationale, Diefenbachgasse 36, A-1150 Wien), www.eco-romania.ro (Rumänische Ökotourismusvereinigung AER), www.tioc-reisen.ro (deutschsprachiger Reiseveranstalter)