„Ich möchte selbst am Hebel sitzen“

Keine Lust mehr auf ewige Opposition: Nach fast 16 Jahren kehrte die Grüne Sibyll Klotz dem Abgeordnetenhaus den Rücken. Als Bezirksstadträtin will sie endlich gestalten. Die Exfraktionschefin räumt ein, dass die Grünen ihren Wahlerfolg nicht gut genug umgesetzt haben – und übt Kritik an der SPD

INTERVIEW ULRICH SCHULTE

taz: Frau Klotz, Sie haben fast 16 Jahre für die Grünen im Abgeordnetenhaus gesessen. Können Sie überhaupt ohne Plenarsitzung leben?

Sibyll Klotz: Das kann ich sehr gut. Natürlich ist es eine Umstellung, natürlich schmerzt der Abschied. Aber ich habe das selbst entschieden und werde nicht an Entzugserscheinungen leiden.

Und das Tolle an Berlin ist ja: Sie werden die gleichen Leute immer wieder treffen.

Stimmt, das ist ja das Spezielle an der Stadt. Im Ernst: Es ist nach so vielen Jahren nötig, einen Schnitt zu machen. Ich habe extra noch mal nachgeschaut: Als ich anfing, saßen 23 grüne Abgeordnete im Parlament – genauso viele sind es wieder in der neuen Legislaturperiode. Der Kreis schließt sich also.

Erst wollten Sie in den Bundestag, dann überließen Sie Franziska Eichstädt-Bohlig den Posten der Spitzenkandidatin. Ein Abschied auf Raten?

Ja. Oppositionsarbeit ist etwas sehr Spannendes, aber ich habe seit längerer Zeit das Bedürfnis gespürt, etwas Konkretes zu machen. Nicht nur zu reden, sondern zu tun. Ich möchte nicht mehr erklären, wie man die Weichen stellen muss, sondern selbst am Hebel zu sitzen.

Jetzt werden Sie Stadträtin in Tempelhof-Schöneberg. Sitzen Sie da wirklich am Hebel – oder betreiben Sie nicht eher Mängelverwaltung?

Klar, der Geldhahn ist abgedreht bis zum Gehtnichtmehr. Aber auch in den Bezirken und Jobcentern sitzen Menschen, mit denen man Dinge kreativ anschieben kann. Außerdem kann ich auch gestalten, ohne mehr Geld auszugeben – indem ich Verwaltungsideen, -ressourcen und BürgerInnen klug zusammenbringe. Ein Beispiel aus Kreuzberg: Die Heilig-Kreuz-Kirche wurde vor etwa zehn Jahren von Firmen aus dem ersten und dem zweiten Arbeitsmarkt, aber auch von Arbeitslosen umgebaut – die Finanzierung war ein Mix aus unterschiedlichen Töpfen. Das Ergebnis ist ein wunderbarer sozialer und kultureller Begegnungsort. Solche Projekte zu entwickeln, ist mein Ansatz.

Wird Ihr Ressort das zulassen?

Da bin ich mir nicht mehr sicher. Der politische Umgang in dem Bezirk macht mich, ehrlich gesagt, sprachlos. Erst redet die SPD mit den Grünen, dann verabredet sie mit der CDU klammheimlich eine Zählgemeinschaft. Dabei ist die inhaltliche Schnittmenge mit uns viel größer. Offenbar sind im Bezirk die persönlichen Befindlichkeiten noch wichtiger als im Land.

Das heißt, aus Ihrem Wunsch, einer Verknüpfung von Wirtschafts-, Arbeits- und Sozialpolitik, wird nichts.

Richtig, und ich habe keine Ahnung, was ich letztlich machen werde. Aber viel wichtiger ist: Wenn ich mir andere Bezirke anschaue, findet gerade eine Art Resteverteilung statt. Die SPD pickt sich das Beste raus, die anderen – vor allem die Grünen – bekommen, was übrig bleibt.

Zum Beispiel in Pankow?

Da dürfen wir uns ums Ordnungsamt, den Verbraucherschutz und den Verkehr kümmern, Veterinärmedizin ist auch noch dabei. Na, wunderbar! Das ist doch ohne Sinn und Verstand zusammengewürfelt, ein guter Zuschnitt zum Wohle des Bürgers sieht anders aus.

Im Land Opposition, in den Bezirken Reste – hat Ihre Partei den Wahlerfolg schlecht verkauft?

Das Ergebnis der Machtverteilung ist für uns nicht zufriedenstellend. Es spiegelt nicht unsere Stimmenzuwächse wider. Die Ursachen überblicke ich in den Bezirken nicht im Detail. Aber eine Parallele zum Land ist: Die SPD hatte Bammel vor dem großen Erfolg der Grünen – und zog in den Verhandlungen gnadenlos die Daumenschrauben an. In Charlottenburg-Wilmersdorf hat sie sich erst zu Zugeständnissen bequemt, als sie erkannte, dass sie sonst durch Schwarz-Grün abgehängt wird.

Sie vermuten eine sozialdemokratische Verschwörung?

Na ja, ich würde eher von einer Strategie sprechen. Die SPD versucht, die PDS kleinzumachen, indem sie mit ihr regiert. Und gleichzeitig versucht sie, die Grünen kleinzumachen, indem sie uns aus den Regierungen heraushält.

Bedauern Sie eigentlich, dass Schwarz-Grün in Charlottenburg-Wilmersdorf nicht geklappt hat ?

Nein, Rot-Grün geht völlig in Ordnung. Für mich war die Schwarz-Grün-Überlegung dort nie ein Modell, das übertragbar wäre auf andere Bezirke oder die Stadt. Das ist doch völliger Unsinn. Eine solche Entscheidung wird im Bezirk getroffen, da geht es erst um Inhalte, dann um Personen und Ressorts.

Und Schwarz-Grün im Land bleibt Zukunftsmusik?

Ja. Das braucht Zeit und viel Bewegung seitens der CDU. Wir liegen bei Kernpunkten einfach zu weit auseinander, denken Sie an die Flüchtlingspolitik. Aber die Verhandlungen haben gezeigt: Die viel zitierte ideologische Nähe zur SPD ist in Berlin nicht vorhanden. Wenn ich mir anschaue, mit welchem kulturellen und ideologischen Hintergrund manche SPDler auftreten – da gibt es zu CDUlern kaum Unterschiede.