Zwangsarbeit für Studenten

In Tadschikistan sind Kinder und junge Erwachsene noch immer zur Ernte auf den Baumwollfeldern verpflichtet. Das hat gesundheitliche Folgen, sagen Experten

„Baumwollernte ist die Hölle“, sagt Lissi, Studentin in Khujand, der zweitgrößten Stadt Tadschikistans. Die Feldarbeiter kriechen auf den Knien über die Plantage und zupfen die Baumwollbüschel von den hüfthohen Pflanzen. Die Sonne brennt erbarmungslos, tagsüber steigen die Temperaturen auf bis zu 50 Grad. 60 Kilo pro Tag muss Lissy von der watteartigen Baumwolle pflücken. Denn ihre Universität ist während der Erntemonate geschlossen, die Studenten müssen wie Schüler und Angestellte des öffentlichen Dienstes stattdessen auf den Feldern arbeiten.

Diese Verpflichtung basiert auf keiner gesetzlichen Grundlage im westlichen Sinne. Vielmehr greift ein ungeschriebenes Gesetz, welches traditionell Arbeiten im Sinne des Gemeinwohls regelt. Es verpflichtet moralisch und stammt aus der Zeit der Staatsbetriebe. Doch auch nach der Privatisierung gilt der Zwang zur Erntearbeit, der für hohe Profite sorgt.

„Alle müssen aufs Feld“, erklärt Lissi. Auch kleinere Kinder helfen bei der Ernte, teils sind sie noch unter sieben Jahren. Nach Schätzungen der Internationalen Arbeitsorganisation ILO bringen mehrere hunderttausend Mädchen und Jungen unter teilweise unmenschlichen Bedingungen die Ernte ein. „Etliche Kommilitonen werden krank während der Ernte – manche todkrank“, sagt Lissy. Hautprobleme, Atembeschwerden und Rückenschmerzen sind die häufigsten Folgen; die medizinische Versorgung ist mangelhaft.

Das Malvengewächs, zu dem die Baumwolle zählt, wird intensiv mit Herbiziden, Insektiziden und Düngemitteln behandelt. Die durch diese Chemikalien ausgelösten Gesundheitsschäden sind verheerend. Die Säuglingssterblichkeit in Tadschikistan ist 19-mal so hoch wie in Deutschland. Die Baumwollpflückerinnen schützen sich gegen das Gift – wenn überhaupt – nur mit einem einfachen Tuch vor dem Mund.

Auch volkswirtschaftlich ist der Baumwollanbau in Tadschikistan fragwürdig. 93 Prozent des Landes liegen im Gebirge, Die fruchtbaren Flächen sind rar. Und durch die Baumwollmonokultur fehle es an Grundnahrungsmitteln, erklärt Lissi. Tadschikistan gehört zu den ärmsten Entwicklungsländern der Welt. Die Gewinne aus der Baumwollproduktion kassieren lediglich lokale Eliten in Zusammenarbeit mit internationalen Investoren und mit Duldung sowie Unterstützung der tadschikischen Regierung.

„Die Baumwollmonokultur wirkt auf die Zukunft Zentralasiens zerstörender, als die Tonnen Heroin, die die Region täglich passieren“, sagt David Lewis von der International Crisis Group (ICG), einer Organisation, die sich weltweit um Konfliktprävention bemüht. „Aber während die Welt Millionen in Antidrogenprogramme investiert, geschieht sehr wenig, um die negativen Folgen der Baumwollindustrie einzudämmen.“ Die Baumwollproduktion fördere politische Repression und Armut und bilde damit den „Nährboden für die Rekrutierung von Extremisten mit potenziell tödlichen Folgen für die regionale Stabilität“.

MEIKE KLOIBER