Die Freiheit, nichts in der Tasche zu haben

Nach der Verfassungsgerichts-Niederlage setzt der Senat auf das Prinzip Hoffnung: SPD und Linkspartei wollen trotz steigender Schulden nicht stärker sparen als bislang. Nur Finanzsenator Sarrazin fordert stärkere Personalkürzungen

Vielleicht ist Klaus Wowereit ja ein Fan des amerikanischen Folk- und Countrysängers Kris Kristofferson. In dessen durch Janis Joplin berühmt gewordenen Lied „Me and Bobby McGee“ heißt es: „Freedom’s just another word for nothing left to lose.“ In den Worten des Regierenden Bürgermeisters klingt das nach Berlins Niederlage vor dem Bundesverfassungsgericht so: „Weil wir keinerlei Hilfe bekommen haben, sind wir jetzt völlig frei in unserem Handeln“, sagte er dem Spiegel. Übersetzt heißt das: Berlin muss sich keinen höchstrichterlich auferlegten Sparmaßnahmen beugen. Das entfacht von neuem die Debatte, wo, wie und wie viel der Stadtstaat künftig spart. Diese Frage wird heute auch die fünfte Runde der Koalitionsgespräche von SPD und Linkspartei beherrschen.

Eines scheint bereits sicher: SPD und Linkspartei wollen im selben Maß sparen wie bislang. Und damit weniger, als von den Karlsruher Richtern empfohlen, die weitere Unternehmensverkäufe vorgeschlagen hatten, um die Schuldenlast von 61 Milliarden Euro zu verringern. Die sechs Wohnungsbaugesellschaften mit rund 270.000 Wohnungen blieben in Landeshand, verkündet Wowereit. Und: „Wir schließen keine Oper und keine Universität und führen keine Studiengebühren ein.“ Auch die mit 40 Millionen Euro veranschlagte Befreiung von Kita-Gebühren will der Senat bis 2011 umsetzen. Für Donnerstag hat Wowereit eine Regierungserklärung zur Lage und Zukunft der Stadt angekündigt. Dann tritt das neu gewählte Abgeordnetenhaus zu seiner konstituierenden Sitzung zusammen.

Eine Möglichkeit, andere Bundesländer zahlen zu lassen, sieht der SPD-Landes- und Fraktionsvorsitzende Michael Müller bei den Studienkosten. Es könne nicht mehr hingenommen werden, „dass Berlin für die Ausbildung der Landeskinder aus Baden-Württemberg und Niedersachsen zahlt“. Müller fordert deshalb einen Länderfinanzausgleich für die Hochschulen.

Einen baldigen Ausweg aus der Verschuldung, die Berlin allein in diesem Jahr fast 2,5 Milliarden Euro Zinsen kostet, sieht auch Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) nicht mehr. Für erreichbar hält Sarrazin, „in den nächsten fünf, sechs Jahren“ die Neuverschuldung wieder unter die Investitionssumme zu drücken. Dann hätte Berlin wieder einen verfassungsgemäßen Landeshaushalt. Das will der Finanzsenator unter anderem mit einer Erhöhung der Gewerbesteuer schaffen. Außerdem will er „lieb gewordene Mehrausstattungen“ überprüfen, beispielsweise beim derzeit mit 115.000 Stellen ausgestatteten öffentlichen Dienst. Sarrazin fordert deren Senkung auf 93.000 statt die geplanten 100.000 Stellen im Jahr 2012.

MATTHIAS LOHRE

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