Berlin bleibt Schuldenreich

Nach dem vernichtenden Verfassungsgerichtsurteil suchen Landespolitiker nach Spielräumen trotz Schuldenberg: Rot-Rot ist gegen Privatisierungen, PDS-Finanzexperte fordert Koalition armer Bundesländer. Die Opposition sieht Schuld beim Senat

VON MATTHIAS LOHRE

Klaus Wowereit (SPD) übte sich nach dem vernichtenden Verfassungsgerichtsurteil in schwarzem Humor. Der Regierende Bürgermeister urteilte, es gebe auch eine „gute Nachricht“ aus Karlsruhe: „Das Bundesverfassungsgericht schätzt offensichtlich die Haushaltslage Berlins viel besser ein als wir selber.“ Erstaunlich kämpferisch gaben sich SPD- und Linkspartei-Vertreter nach dem vergeblichen Versuch, Entschuldungshilfen in Milliardenhöhe von Bund und Ländern einzuklagen. Sie stellen sich den vom Gericht geforderten Unternehmensprivatisierungen entgegen und plädieren für eine gemeinsame Front armer Bundesländer. Der Kampf ums Geld geht weiter.

Der Senat hat auch kaum eine andere Wahl. Zu eindeutig war seine gestrige Niederlage vor der Zweiten Kammer des Bundesverfassungsgerichts. Die hatte entschieden: Berlin sei „nicht in einer extremen Haushaltsnotlage“ und habe deshalb „keinen Anspruch auf Sanierungshilfen“. Das Gericht erkannte „lediglich eine angespannte Haushaltslage“, die Berlin „mit großer Wahrscheinlichkeit aus eigener Kraft überwinden“ könne.

Der Senat sieht das angesichts von mehr als 61 Milliarden Schulden und 2,5 Milliarden Euro Zinsen bekanntlich anders. Während die Richter im Berliner Haushalt „noch nicht ausgeschöpfte Einsparpotenziale in erheblichem Umfang“ unter anderem bei den 270.000 landeseigenen Wohnungen vermuteten, hält die Linkspartei dagegen.

Wirtschaftssenator Harald Wolf (Linkspartei) kündigte an, seine Partei werde „an ihrem Kurs festhalten, Unternehmen der Daseinsvorsorge – und dazu gehören ausdrücklich auch Wohnungsgesellschaften – nicht zu privatisieren“. Trotz der Fortführung des Sparkurses urteilt Wolf: „Der Weg zum Ziel der Haushaltssanierung wird länger.“

Wowereit äußerte sich nur vage, ob Berlin sich an die Verkaufsappelle des Gerichts halten will. Den Sparkurs will der Regierungschef zumindest „konsequent fortführen“. SPD-Landes- und Fraktionschef Michael Müller warnte vor „Schnellschüssen“. Die SPD-Prioritäten blieben die gleichen: „Soziale Stadt, Bildung, Kultur und Wissenschaft“.

CDU-Fraktionschef Friedbert Pflüger und seine Grünen-Amtskollegin Franziska Eichstädt-Bohlig bezeichneten das Urteil unisono als schweren Schlag für Berlin. Beide machten die Verhandlungsführung des Senats für das Scheitern verantwortlich. Einzig FDP-Fraktionschef Martin Lindner kanzelte die Sanierungspolitik des Landes als „wahlbetrügerische PR-Legende“ ab.

Nach der Gerichtsniederlage ist der Kampf noch lange nicht vorbei, urteilte der finanzpolitische Sprecher der Linksparteifraktion, Carl Wechselberg. Im Bundesrat gehe er weiter. Wechselberg will den Geberländern des Länderfinanzausgleichs eine Koalition der „armen Bundesländer“ entgegensetzen. Sie könne die „Sparkommissare“ für hoch verschuldete Länder verhindern, die reiche Bundesländer bei den Verhandlungen über die zweite Stufe der Föderalismusreform durchsetzen wollen.

Nicht nur den Geberländern nutzt Berlins Niederlage, sondern auch dem brandenburgischen Ministerpräsidenten Matthias Platzeck. Gestern urteilte der Regierungschef des traditionell fusionsunwilligen Nachbarlandes: „Das Urteil hat auch den Letzten davon überzeugt, dass eine Abstimmung über eine Länderfusion 2009 keinen Sinn macht.“ Angesichts von 60 Milliarden Euro Schulden sei das wenig sinnvoll.

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