Streit ums „Armenhaus“ Berlin

Vor dem heutigen Verfassungsgerichtsurteil bekriegen sich der Kläger Berlin und wohlhabende Bundesländer. Die gönnen der Hauptstadt keine Entschuldungshilfen

BERLIN taz ■ Wenn Klaus Wowereit heute Morgen den Verhandlungssaal des Bundesverfassungsgerichts betritt, wird er sich vermutlich fragen, ob er genug für den Erfolg seiner Klage getan hat. Immerhin geht es um das Urteil im wichtigsten Rechtsstreit von Berlins Regierendem Bürgermeister. Schmettern die Karlsruher Richter die Klage auf Entschuldungshilfen ab, ist der Sanierungskurs seiner rot-roten Koalition in Gefahr.

Das Land Berlin will per Verfassungsklage erzwingen, dass der Bund seine Haushaltsnotlage anerkennt und einen Teil der mehr als 61 Milliarden Euro Schulden übernimmt. Eine gewaltige Bürde für eine Millionenstadt, die nur so viel kommunale Steuern einnimmt wie Duisburg oder Dortmund. Diese Fakten sind unbestritten. Beim heftigen Streit zwischen Berlin, reichen Bundesländern und Bundesregierung geht es um die Frage: Wer muss die Zeche zahlen?

Immer wieder hat Wowereit auf die Sparanstrengungen seiner SPD-PDS-Koalition verwiesen. Seit 2002 hat Rot-Rot unpopuläre Einsparungen durchgesetzt, die einer CDU-geführten Regierung Massendemonstrationen eingebracht hätten. Daher argumentieren die Berliner in Karlsruhe: Seht her, wir haben alles in unserer Macht Stehende getan. An der andauernden Misere trage nicht der Senat, sondern die jahrzehntelange Teilung der Stadt Schuld. Berlin dürfe nicht „zum Armenhaus der Republik“ werden, flehte Wowereit während der mündlichen Verhandlung Ende April. Nun müsse die Solidarität von Bund und Ländern greifen.

„Es gibt Grenzen der Solidarität“, konterte der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) in der vergangenen Woche. Sein Bundesland habe kein Interesse, Berlins Schulden zu zahlen, beispielsweise durch den Länderfinanzausgleich. NRW-Bundesratsminister Michael Breuer (CDU) griff einen wunden Punkt an: „Ich finde es unhaltbar, wenn sich ein Nehmerland wie Berlin auf Kosten der anderen Länder ein beitragsfreies drittes Kindergartenjahr leistet.“

Die Gerichtsentscheidung könnte Folgen für die anstehende zweite Stufe der Föderalismusreform haben. Sie soll die Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern neu regeln. Bisher sind nicht einmal Umrisse dieses Vorhabens zu erkennen. Selbst bei einem positiven Gerichtsentscheid wird Berlin also wohl über Jahre auf Entschuldungshilfen warten müssen. So lange, bis sich die Kontrahenten über eine Neuordnung der komplizierten Finanzströme einigen. MATTHIAS LOHRE