Eine doppelte Ohrfeige für die kleinen Mitgliedsstaaten

EU-STABILITÄTSPAKT Einigung in Brüssel: Für große Länder sollen weniger strenge Spielregeln gelten

„Die deutsch-französische Einigung ist vom Rat bestätigt worden“ „Madame Merkel und ich sind ganz besonders zufrieden“

NICOLAS SARKOZY

AUS BRÜSSEL DANIELA WEINGÄRTNER

Am Ende einer erbitterten Gipfelschlacht einigten sich die 27 Regierungschefs in der Nacht zum Freitag in Brüssel auf diesen etwas kryptisch klingenden Satz: „Die Staats- und Regierungschefs sind einig über die Notwendigkeit, dass die Mitgliedsstaaten einen permanenten Krisenmechanismus einrichten müssen, um die finanzielle Stabilität der Eurozone als Ganzes zu gewährleisten, und fordern den Präsidenten des Europäischen Rates auf, zu diesem Zweck mit den Mitgliedsstaaten über eine begrenzte Vertragsänderung zu verhandeln.“

Ein Satz, der den Funken zwischen Europa und seinen Bürgern kaum zu Üüberspringen bringen dürfte. Die vorsichtig abgewogenen juristischen Klauseln sollen den heftigen Schlagabtausch überdecken, der in den vergangenen Wochen vor allem zwischen den kleinen Mitgliedsstaaten und dem Zahlmeister Deutschland tobte. Kanzlerin Merkel hatte klargemacht, dass sie einem dauerhaften „Krisenmechanismus“, der im Notfall in Schieflage geratene Euroländer vor der Pleite bewahren soll, nur unter einer Bedingung zustimmen wird: Der EU-Vertrag muss so geändert werden, dass das Bundesverfassungsgericht das Projekt nicht unter Verweis auf die derzeitigen vertraglichen Regelungen stoppen kann. Im Lissabon-Vertrag gibt es nämlich einen Artikel, der ausdrücklich untersagt, dass ein Euroland von den anderen gerettet wird.

Dieser Artikel soll bestehen bleiben. An anderer Stelle aber wird ein Absatz eingefügt, der die Einrichtung des neuen Krisenmechanismus juristisch ermöglicht. Bis Dezember soll Ratspräsident Herman Van Rompuy einen Vorschlag vorlegen.

Die Zeit drängt. Denn Mitte 2013 läuft die derzeitige provisorische Bürgschaft für vom Bankrott bedrohte EU-Länder von 750 Milliarden Euro aus. Merkel hatte im Vorfeld des Treffens in Brüssel ganz deutlich gemacht, dass sie danach keine deutschen Sicherheiten mehr zur Verfügung stellen wird, wenn dafür im EU-Vertrag keine juristische Grundlage geschaffen wird. Im französischen Badeort Deauville ließ sie sich mit Staatspräsident Nicolas Sarkozy bei ernsten Strandspaziergängen ablichten und brachte ihn auf ihre Seite.

Sarkozy hatte zunächst Vertragsänderungen kategorisch abgelehnt. Für sein Entgegenkommen verlangte er eine Gegenleistung: Die Reform des Stabilitäts- und Wachstumspaktes soll etwas weniger streng ausfallen als von der EU-Kommission Ende September vorgeschlagen. Die Geschichte der derzeit geltenden Stabilitätsregeln zeigt, dass Finanzminister viele Vorwände finden können, um eine Auge zuzudrücken und Grausamkeiten auf die lange Bank zu schieben. Sie tun das vor allem, wenn große Mitgliedsstaaten betroffen sind. So konnten sowohl Deutschland als auch Frankreich blaue Briefe aus Brüssel lange abwenden. Das kleine Portugal hingegen stand sofort am Pranger, als es die magische Marke von drei Prozent Neuverschuldung riss – es hatte nicht genug Verbündete finden können, um die Mehrheit der Sanktionsbefürworter zu stoppen.

„Die deutsch-französische Einigung ist vom Rat bestätigt worden. Sie werden verstehen, dass Madame Merkel und ich ganz besonders zufrieden sind“, strahlte Nicolas Sarkozy gestern nach dem Gipfel in der ihm eigenen, wenig sensiblen Art. Für die kleinen Mitgliedsstaaten bedeutet das gestrige Ergebnis schließlich eine doppelte Ohrfeige: Zum einen wurde ihnen wieder einmal deutlich vor Augen geführt, wer in Wahrheit in Europa das Sagen hat. Und zum anderen werden sie auch in Zukunft damit leben müssen, dass für große Länder weniger strenge Spielregeln bei der Haushaltsdisziplin gelten als für kleine.

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