Die Pflege-Mogelpackung

PFLEGEVERSICHERUNG Kassen erhalten 3,63 Milliarden Euro mehr ab 2015. Doch statt zu den Bedürftigen fließt ein Drittel in einen Kapitalfonds

„Künftige Beitragszahler werden nur vorübergehend entlastet“

BUNDESBANK ÜBER PFLEGE-FONDS

VON HEIKE HAARHOFF

BERLIN taz | Eine Rekordsumme von dreieinhalb Milliarden Euro pro Jahr fließt ab 2015 zusätzlich in die Pflegeversicherung: Zum 1. Januar erhöht die Bundesregierung den Beitragssatz von derzeit 2,05 Prozent des Bruttoeinkommens (Kinderlose: 2,3 Prozent) um 0,3 Punkte. „Die Anhebung führt im Jahr 2015 zu Mehreinnahmen von rund 3,63 Milliarden Euro“, heißt es in dem Referentenentwurf für das neue Gesetz zur „Leistungsausweitung für Pflegebedürftige“, der der taz vorliegt.

Ziele sind die „Flexibilisierung von Leistungen“ in der „häuslichen Pflege“, ein besserer Betreuungsschlüssel in den Pflegeheimen insbesondere für demente Menschen (1 Betreuer für 20 statt bislang 24 Menschen) sowie mehr Entlastung für pflegende Angehörige. Gemeint sind etwa Finanzhilfen für vorübergehende Haushaltshilfen, die für die strapazierten Angehörigen, so der Entwurf, den „Frühjahrsputz“ erledigen oder die Pflegebedürftigen „zum Gottesdienst begleiten“. Allein: Der Löwenanteil der Mehreinnahmen kommt gar nicht unmittelbar und in Form verbesserter Leistungen bei den 2,48 Millionen Menschen an, die derzeit Leistungen aus der Versicherung beziehen. Lediglich 1,54 der 3,63 Milliarden Euro stehen für den Ausbau der Pflegeleistungen zur Verfügung.

Die Gründe: Zum einen werden laut Entwurf allein 880 Millionen Euro dafür gebraucht, die schon bestehenden Versicherungsleistungen der allgemeinen Preisentwicklung anzupassen („Dynamisierung“). Zum anderen sollen 1,21 Milliarden Euro jährlich – ein Drittel der zusätzlichen Einnahmen – in einen „Pflegevorsorgefonds“ fließen. Das ist ein Sondervermögen, in dem über einen Zeitraum von 20 Jahren Geld angespart werden soll, um ab 2035, wenn die Babyboomer pflegebedürftig werden, die „deutlich steigenden Leistungsausgaben“ abzufedern.

Nach dem Willen von Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) sollen ab 2035 jährlich bis zu einem Zwanzigstel des dann angesparten Geldes aus dem Fonds entnommen werden dürfen, falls ansonsten steigende Beiträge drohen. Neues Geld soll dann jedoch nicht mehr angespart werden. Heißt: Spätestens 2055 ist der Fonds leer.

Die Deutsche Bundesbank, die den Fonds verwalten soll, warnte bereits in ihrem Monatsbericht im Dezember vor einer derartigen Kapitalreserve: „Künftige Beitragszahler“, so die Bundesbank, „werden nur vorübergehend entlastet werden können. Nach dem Verzehr der Rücklage wird die vollständige Finanzierungsverantwortung wieder auf den Schultern der künftigen Beitragszahler liegen.“

Laut Referentenentwurf wird „in einem zweiten Schritt“ und noch „in dieser Legislaturperiode der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff eingeführt“. Gemeint ist die Gleichbehandlung aller Pflegebedürftigen im Leistungsrecht, egal ob sie körperlich oder geistig-kognitiv eingeschränkt sind. Dazu soll der Beitragssatz 2016 oder 2017 um weitere 0,2 Prozentpunkte steigen, was 2,42 Milliarden Euro zusätzlich pro Jahr bedeuten würde. Doch nach Berechnungen des Bremer Gesundheitsökonomen Heinz Rothgang, der den Pflege-Expertenbeiräten voriger Regierungen angehörte, wird dies nicht zur Versorgung der Dementen reichen, die bislang nur geringe Leistungen aus der Versicherung beziehen. Rund 4 Milliarden Euro zusätzlich, so Rothgang, seien nötig: „Das Geld aus dem Fonds wäre an anderer Stelle besser angelegt.“