Energiesparen mit System

Beim Energiegipfel geht es auch darum, wie sich der Energieverbrauch reduzieren lässt: Nötig wäre ein neuer Fonds, um den Kauf sparsamer Heizkessel und Motoren zu fördern

In der Industrie geht ein Drittel des Stromverbrauchs in der EU auf veraltete Elektromotoren zurück

Es gibt einen Weg, auf einen Schlag 30 Atommeiler überflüssig zu machen. Man benötigt weder Kohlemeiler noch Gaskraftwerke. Auch keine riesigen Wälder aus Windrädern. Es geht viel simpler: Man wirft einfach alle Elektromotoren in Europas Fabriken in den Müll – und ersetzt sie durch sparsamere Aggregate.

Die überraschende Rechnung stammt vom European Copper Institute, die sie für die „Motor Challenge“-Initiative der EU-Kommission durchführte. Demnach geht ein Drittel des EU-Stromverbrauchs in der Industrie auf oft veraltete Elektromotoren zurück. Moderne elektronisch geregelte Aggregate verbrauchen oft nur halb so viel Strom. Der Austausch würde bis 2025 den Neubau von 45.000 Megawatt Kraftwerksleistung überflüssig machen. Der Clou aber ist: Er würde den Firmen sogar bis zu zehn Milliarden Euro mehr Gewinne einbringen.

Eigentlich liegt es angesichts des aktuellen Ölmangels auf den Rohstoffbörsen nahe, effizienter mit Energie umzugehen. Doch bislang macht sich keiner daran, die „ungehobenen Schätze der Energieeffizienz“ (Energieforscher Peter Hennicke) systematisch zu bergen. Abgesehen vom Gebäudesanierungsprogramm beschränken sich die Effizienzstrategien des Bundes auf bunte Broschüren mit Spartipps. Dabei könnte man aus der Geschichte lernen: Bereits in den Siebzigern erlebte die Welt zwei Ölpreiskrisen, als die arabischen Opec-Staaten die „Ölwaffe“ auf Israel und seine westlichen Verbündeten richtete. Das damalige Ölembargo löste eine wahre Sparwut aus. Die Bundesbürger bildeten Fahrgemeinschaften, duschten statt zu baden, klebten wärmedämmendes Styropor an die Wohnzimmerdecke und schwarz-rot-goldene „Ich bin Energiesparer“-Aufkleber an die Autoheckscheibe. Der Staat machte „rationelle Energienutzung“ zur nationalen Aufgabe.

Mit Erfolg: Neben der Erschließung neuer Ölquellen in der Nordsee war es der Umstieg auf sparsamere Autos und Heizkessel sowie mehr Dämmung, der den Ölbedarf nachhaltig sinken ließ. Und zwar so stark, dass die Opec in den folgenden Jahrzehnten nicht mehr in der Lage war, den Ölpreis zu kontrollieren. Aber auch das Sparen kam schnell wieder aus der Mode.

Dabei hat das Wort von der „Energieeffizienz“ in Sonntagsreden durchaus Konjunktur. Heute trifft sich zum zweiten Mal der „Energiegipfel“ im Kanzleramt – auch, um ein Papier zur Energieeffizienz zu verabschieden. Doch man kann sich kaum ein ungeeigneteres Gremium dafür vorstellen. Hier dominieren Energieanbieter und Großverbraucher. Das ist etwa so, als würde man Tabakmanager und Kettenraucher einladen, um übers Rauchverbot in Gaststätten zu debattieren. Hartnäckig wird die Energiepolitik allein von der Angebotsseite her gedacht. Nichts erhitzt die Gemüter so sehr wie höhere Energiepreise. Doch weder in Konzernbilanzen noch auf Girokonten sind Energiepreise die entscheidende Größe: Was zählt, ist die Rechnung am Jahresende. Sie aber ist das Produkt aus Preis und Verbrauch. Im Prinzip kann der Energiepreis steigen, wie er will, so lange wir den Verbrauch dämpfen. Je höher der Preis, um so schneller rechnet es sich, bessere Technik einzusetzen.

Bereits während der Ölpreiskrisen vor dreißig Jahren wies Amory Lovins, der spätere Gründer des Rocky-Mountains-Institutes, auf den zentralen Denkfehler hin. „Die Kunden wollen keine Kilowattstunden, sie wollen heiße Duschen und kaltes Bier.“ Lovins schlug vor, statt Kraftwerken lieber „Einsparkraftwerke“ zu bauen. Effektive Energiesparprogramme, so die Logik, könnten um ein Vielfaches billiger Kilowattstunden „erzeugen“, als sie ein neu gebautes Kraftwerk liefern würde. Theoretisch und auf lange Sicht gesehen ließe sich der Energieverbrauch drastisch reduzieren. Der Chef des Wuppertal-Instituts Peter Hennicke schätzt, dass der Pro-Kopf-Verbrauch der Deutschen bis 2050 um zwei Drittel sinken könnte. Wie viel davon wie schnell realisiert werden kann und was sich davon rentiert, bewerten Experten unterschiedlich. Doch selbst die vorsichtigsten Schätzungen sind beeindruckend: EU-Energiekommissar Andris Piebalgs meint, dass die EU ein Fünftel ihres Energieverbrauchs sofort kostendeckend vermeiden könnte.

Während die große Politik die Potenziale bislang ignoriert, springen private Energiedienstleister, so genannte „Contractoren“ in die Bresche. Diese Firmen suchen in alten Schulen wie in modernen Fabriken nach Wegen, die Energie intelligenter einzusetzen, und setzen sie selbst auf eigene Kosten um. In der Regel lassen sich leicht 30 Prozent einsparen. Ihre Investitionen holen die Energiesanierer wieder heraus, indem sie einen Teil der gesparten Energiekosten für sich abzweigen. Doch die meist mittelständischen Firmen haben Mühe, ihre Investitionen vorzufinanzieren. Zudem stoßen sie vielerorts auf eine Mischung aus Desinteresse und Ignoranz: Die Energiekosten der Industrie machen im Schnitt weniger als zwei Prozent der Produktionskosten aus. Entgegen dem Lobbygeschrei über „zu hohe Preise“ ist vielen Managern die Energierechnung keinen Blick wert.

Die Bundesbürger wiederum verbraten den größten Teil der Energie fürs Heizen. Doch das Mieter-Hausbesitzer-Dilemma verhindert schnelle Fortschritte. Denn warum sollte der Besitzer sich um bessere Dämmung oder Heizkessel bemühen, wenn seine Mieter ohnehin ganz alleine die Heizrechnung zahlen müssen. Es ist grotesk: Energiebewusste Architekten bauen bereits Häuser, die überhaupt keine Heizwärme mehr benötigen und deren Mehrkosten sich rasch rentieren. Doch anstatt solche Technik mit strengeren Energierichtlinien zu fördern, scheitert die Politik bereits an der bloßen Kennzeichnung des Energieverbrauchs einer Wohnung, dem so genannten „Gebäudepass“. Seit Monaten blockiert der Wirtschaftsminister dessen sinnvolle Ausgestaltung.

Merkel trifft sich mit den falschen Leuten, leider: den Energiekonzernen und den Großverbrauchern

Das Mindeste, was man heute von Merkels Energiegipfel erwarten kann, wäre ein gut ausgestatteter Effizienzfonds. Er könnte sparsame Heizkessel oder Elektroantriebe vorfinanzieren und damit zum Beispiel die rein beratende „Motor Challenge“-Initiative in Schwung bringen – sowie die Arbeit der Energiesanierer. Leuchtendes Vorbild ist Dänemarks „Elsparefonden“, der 1996 eingeführt wurde: Er wird bis 2007 sein Sparziel, wie es aussieht, um ein Drittel übertreffen und finanziert sich aus einem Aufschlag auf den Strompreis von 0,08 Cent pro Kilowattstunde. Doch selbst so eine klitzekleine Abgabe gilt vielen Politikern wie der Industrie als Gift für die Konjunktur. Beim Preis hört der Spaß eben auf.

Die Bundesregierung sollte aufhören, sich an den Strategien der Stromkonzerne zu orientieren. Wenn sie wirklich die nationale Versorgungssicherheit im Blick hat, kommt sie an einem beherzten Effizienzprogramm nicht vorbei. Die eingesparte Energie wäre nicht nur gut für unseren Geldbeutel und das Klima, sie würde die Welt auch etwas friedlicher machen. Auf warme Füße und kaltes Bier müssten wir trotzdem nicht verzichten.

MATTHIAS URBACH