„Stänkern gegen die da oben“

Der österreichische Rechtsextremismusexperte Heribert Schiedel über die Gründe für die guten Wahlergebnisse der Rechten, die Besonderheiten Österreichs und die Zusammenarbeit der Rechtsparteien mit neu aufgebauten illegalen Strukturen

INTERVIEW RALF LEONHARD

taz: Herr Schiedel, über eine halbe Million Österreicher haben letzten Sonntag eine der Rechtsparteien gewählt. Warum ist Österreich anfälliger für Rechtsextremismus als andere?

Heribert Schiedel: Wenn man Studien über Rassismus, Antisemitismus und Autoritarismus zusammenführt, ergibt sich für Österreich, wie in den meisten anderen westeuropäischen Ländern, ein rechtsextremes Potenzial von 15 bis 18 Prozent, das entweder von den Großparteien integriert wird oder sich in einer rechtsextremen Partei verselbständigt. Der Unterschied zu anderen Ländern liegt vielleicht darin, das der Rechtsextremismus hier früher als anderswo salonfähig geworden ist.

Aber anders als etwa in Deutschland hört man kaum von gewaltbereiten Rechten.

Der Eindruck täuscht. Es gibt bei uns auch gewalttätigen Rechtsextremismus. Je jugendlicher er wird, desto gewalttätiger. Je entwickelter die kulturelle Hegemonie des Rechtsextremismus ist, desto weniger Gewalt wird angewendet. Die FPÖ bekennt sich übrigens dazu. Der damalige FPÖ-Abgeordnete Holger Bauer hat 1999 wörtlich erklärt: „Bei uns werden keine Ausländerheime abgefackelt und keine Neger geklatscht, weil sich die FPÖ des Problems im politischen und rechtsstaatlichen Rahmen angenommen hat.“

Das BZÖ ist besonders im zweisprachigen Teil Kärntens erfolgreich, die FPÖ in den Wiener Gemeindebauten. Warum?

Haider ist es besser als anderen gelungen, zu mobilisieren. In Kärnten kann man immer noch mit Ressentiments gegen die slowenische Minderheit Stimmung machen. Da wird die viel zitierte Kärntner Urangst angesprochen. Was Wien betrifft, so wissen wir von Studien, dass der Rassismus zunimmt, wenn in der unmittelbaren Nachbarschaft der Anteil von Migranten abnimmt. In den Gemeindebauten sind die Österreicher fast unter sich. Dazu kommt: Die FPÖ präsentiert sich ja als die bessere Sozialdemokratie. Diese Verbindung von Rassismus und der sozialen Frage kennen wir von Haider, aber auch aus dem deutschen Faschismus.

Die FPÖ wurde von auffällig vielen Menschen unter 30 gewählt.

Ja, etwa 25 Prozent. Der Ring Freiheitlicher Jugend, RFJ, hat mit Erfolg die Erstwähler angeworben. Die Motive liegen ähnlich wie bei Gesamtbevölkerung: 60 Prozent haben FPÖ wegen des Umgangs mit dem sogenannten Ausländerthema gewählt. Dazu kommen der Bildungsnotstand, die Jugendarbeitslosigkeit und ein jugendlich wirkender Parteichef. Das Rabaukentum, die Pose des Ausgegrenztseins, deckt sich mit der Lebenserfahrung vieler Jugendlicher.

Hat auch der Organisationsgrad zugenommen?

Ja, leider. Da hat die Regierungsbeteiligung der FPÖ verstärkend gewirkt. Sicher auf der symbolischen Ebene. Da ist das neue Selbstbewusstsein, die Normalisierung des Rechtsextremismus. Gerade Jugendliche spüren das und treten viel selbstbewusster als Rechtextreme auf. Es ist ja kein Zufall, dass 2002 erstmals wieder eine Neonazidemo auf dem Wiener Heldenplatz stattgefunden hat. Seit zwei, drei Jahren beobachten wir den Ausbau klandestiner Strukturen nach dem Vorbild der deutschen freien Kameradschaften. Die Rekrutierungsphase ist abgeschlossen. Man konzentriert sich jetzt auf den Aufbau von Strukturen. Noch nie war die Grenze zwischen illegalen und legalem Rechtextremismus Marke FPÖ so durchlässig.

Grenzt sich die FPÖ von diesen Gruppen nicht ab?

Von selber nicht. Als der Neonazi Gottfried Küssel in Braunau auf einer FPÖ-Veranstaltung war, wurde nichts unternommen. Erst als das an die Medien kam, erklärte die FPÖ, sie könne ja nichts dafür, dass sich da Rechtsradikale tummeln.

Kann der FPÖ etwas Besseres passieren als eine große Koalition?

Eigentlich nicht. FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache, das hat er von Haider gelernt, grenzt sich selber aus. Das ist ein wichtiger Teil der Selbstinszenierung. Da kann man gegen „die da oben“ ordentlich stänkern. Wenn die Sozialdemokratie in der Regierung ist, halten die Gewerkschaften traditionell still, wenn es Einschnitte gibt. Das Protestpotenzial im Sozialbereich liegt dann brach. Das können auch die Grünen nicht kanalisieren, sondern nur die FPÖ als „Partei der kleinen Leute“.