Mehr als eine Rabattkarte

AMTLICH Einen Presseausweis bekommt fast jeder – für Journalisten ein Problem. Denn ihr Arbeitsinstrument verliert an Wert

Gerade Rechtsextreme nutzen zunehmend aus, dass es keine offiziellen Presseausweise mehr gibt

VON DANIEL BOUHS

Isabella David und ihre KollegInnen wissen, wie es ist, wenn die richtige Plastikkarte im Portemonnaie fehlt. Vor eineinhalb Jahren haben die Nachwuchsjournalisten das Onlineportal „Hamburg Mittendrin“ gegründet, ein Nachrichtenmagazin, das nah dran sein will, selbst wenn es in der Hansestadt ordentlich zur Sache geht.

„Bei Demonstrationen können die Polizeibeamten Journalisten teilweise gar nicht von Teilnehmern unterscheiden“, berichtet David, die auch da ist, wenn die Staatsmacht bei Ausschreitungen durchgreift. „Die denken dann, ich bin auch Demonstrantin, weil natürlich viele mit der Kamera herumlaufen. Und wenn ich dann nichts vorzeigen kann, kann ich noch so viel diskutieren oder meine Visitenkarte zeigen – die sagen: Journalist ist für uns nur, wer einen Presseausweis hat.“

Presseausweise schützen Journalisten unter anderem an Orten, die andere Menschen nicht ohne Weiteres betreten dürfen oder bei Problemen wieder verlassen müssen – bei Unfällen, Katastrophen und Räumungen. „Da ist der Presseausweis keine Rabattkarte“, sagt David, „sondern ein Mittel, das ich brauche, um arbeiten zu können.“ Außerdem können sich Journalisten mit einem Presseausweis für Veranstaltungen akkreditieren, seien es Besuche im Parlament, Messen, Museen oder Konzerte.

Allerdings ist so ein Ausweis heute streng genommen nicht viel wert. Die Bundesländer weigern sich seit bald sieben Jahren, die gängigen Ausweise als zweifelsfreie Nachweise zu akzeptieren – wichtig eben nicht zuletzt für Polizisten, die bei Einsätzen schnell prüfen müssen, wer tatsächlich Journalist ist und etwa hinter Absperrungen darf. Bis 2007 durften etablierte Fachverbände auf ihren Ausweisen eine entsprechende offizielle Anerkennung der Innenminister vermerken. Dann stritten immer mehr Verbände darüber, wer diesen aufgewerteten Ausweis ausstellen durfte, sogar vor Gericht. Der Politik war das am Ende zu anstrengend. Sie stieg aus.

„Jeder kann sich eine Karte drucken und darauf ‚Presseausweis‘ schreiben“, skizziert Hendrik Zörner vom Deutschen Journalisten-Verband (DJV) den Status quo, auch wenn in der Praxis noch immer eher die Ausweise akzeptiert werden, die sein DJV und fünf weitere Verbände ausgeben. Zörner spricht aber auch von „Fantasieausweisen“, die teils „gegen Geld an jeden“ ausgestellt würden und ganz ähnlich aussähen. Im Netz finden sich tatsächlich Anzeigen für entsprechende „VIP-Status & Sonderrechte“, die „neue Türen öffnen, noch bevor Sie angeklopft haben“ – und all das ohne Nachweis der Arbeit.

Der VIP-Status zielt auf sogenannte Presserabatte ab, etwa für Flugreisen, Abonnements und den Eintritt in Freizeitparks – ein Problem, das sich seit ein paar Jahren von selbst löst, weil immer mehr Unternehmen wie die Deutsche Bahn und AirBerlin keine Rabatte mehr geben und gleichzeitig Redaktionen zunehmend ihren Leuten die Annahme von Rabatten verbieten.

Der DJV klagt wie die Deutsche Journalistenunion von Ver.di schon seit Jahren darüber, dass beispielsweise Polizisten kaum noch unterscheiden könnten, wer bloß hochgerüsteter Gaffer oder tatsächlich zur Berichterstattung vor Ort sei, denn seit es keine offiziellen Presseausweise mehr gibt, haben es Trittbrettfahrer leichter denn je. Gerade Rechtsextreme nutzen dieses Vakuum zunehmend aus. Ausweise lassen sich schließlich selbst basteln oder bei den unterschiedlichsten Anbietern ordern.

„Sie wollen die Einsatzpläne der Polizei in Erfahrung bringen und bedrohen Journalisten – auch hinter Absperrungen“, berichtet DJV-Mann Zörner. Bei Ver.di ist gar von einem „unerträglichen Missbrauch“ der Pressefreiheit die Rede. Ein „amtlicher Presseausweis“ müsse schon allein „zum Schutz journalistischer Arbeit“ wieder her. Und genau dazu könnte es schon bald wieder kommen.

Niedersachsen hat das Thema auf die Agenda der Innenministerkonferenz gesetzt und erfährt dabei nach allem, was zu hören ist, starken Rückhalt aus den anderen Ländern. Damit soll es „in den nächsten Wochen Abstimmungsgespräche mit den relevanten Verbänden“ geben – wobei gewiss wieder manch einer darum streiten wird, dazuzugehören. Und auch die schwarz-rote Bundesregierung unterstützt laut Koalitionsvertrag die „Initiative der Länder zur Wiedereinführung des ‚amtlichen Presseausweises‘ “.

Die Bezeichnung „amtlich“ ist dabei natürlich irreführend, denn nicht der Staat würde die Ausweise ausgeben; das täten, wie früher schon, die Journalistenverbände – eine große Verantwortung.

Wenn sich bald die Referenten der Innenminister beraten, dürften sie sich deshalb auch erst einmal fragen, ob sich die etablierten Verbände heute untereinander einig sind. Doch hier zieht neuer Streit auf: Die übrigen Verbände haben gerade Freelens, den freien Pressefotografen, untersagt, den gängigen Ausweis über das laufende Jahr hinaus auszustellen. Sie stören sich daran, dass Freelens Ausweise systematisch auch anderen Berufsverbänden anbietet.

Und auch eine zweite Frage drängt sich auf: Wie viele Ausweise, die künftig wieder anerkannt werden sollen, sind derzeit überhaupt in Umlauf? Ver.di berichtet von jährlich knapp 27.000 Ausweisen, der DJV rechnet mit 25.000, die Zeitungsverleger mit bis zu 13.000 und die Verbände von Sport- und Fotojournalisten mit zirka 5.000. Das macht 70.000. Hinzu kommen noch die Zeitschriftenverleger, die nicht konkret werden. So sind es also vielleicht 80.000 fast offizielle Karten.

Einen der gängigen, womöglich bald wieder von den Ländern anerkannten Ausweise hat trotzdem nicht jeder Journalist einfach in der Tasche. Isabella David zum Beispiel ist wie einer ihrer „Hamburg Mittendrin“-Kollegen beim DJV leer ausgegangen. Und während bislang sogar Pressesprecher einen Ausweis bekommen, obwohl sie im Zweifel ihren Behörden oder Unternehmen, nicht aber der Öffentlichkeit verpflichtet sind, werden besonders diejenigen ignoriert, die Journalismus auf eigene Faust betreiben – zum Beispiel im Digitalen.

„Wir arbeiten nach journalistischen Kriterien“, sagt Studentin David. „Und das ist am Ende doch das, worauf es ankommt.“ Doch wer nicht gleich Medienwissenschaften studiert, hat oft selbst dann das Nachsehen, wenn er das Arbeitswerkzeug braucht. So wie die „Hamburg Mittendrin“-MacherInnen, die gleichzeitig auf Branchentreffen den Etablierten erklären, wie moderner Journalismus funktioniert.

„Das ist paradox“, sagt David, die beim DJV abblitzte. Verbandssprecher Zörner beharrt darauf, dass mit dem womöglich bald wieder „amtlichen“ Ausweis nur bestückt werden soll, wer seinen Lebensunterhalt mit Journalismus oder PR bestreitet: „Das ist das einzige objektive Kriterium.“ Auch der noch so ambitionierte Nachwuchs müsse sich „für eine Übergangszeit“ gedulden, damit nicht „der Willkür Tür und Tor“ geöffnet werden.

Dabei schützt nicht mal Hauptberuflichkeit vor einer Schwemme an Ausweisen. So dient etwa bei der Hamburgischen Bürgerschaft der Presseausweis der etablierten Verbände nur als Vorfilter. „Wir schauen uns jeden Fall noch mal an“, berichtet Marco Wiesner aus der Pressestelle „Es kommt immer mal wieder vor, dass uns zwar jemand seinen Ausweis zeigt, aber nicht erklären kann, für wen er schreibt oder wo er zuletzt journalistisch aktiv war.“ Der Presseausweis allein genüge ihm deshalb „definitiv nicht“.

Isabella David und ihr Kollege von „Hamburg Mittendrin“ sind dann doch noch an das Dokument gekommen, das zwar nicht den Segen der Länder hat, aber oft genug akzeptiert wird – bei Ver.di. So konnten sie im Winter ganz dicht dran sein, als die Stadt quasi vor den eigenen Bürgern kapitulierte, für mehrere Tage ganze Straßenzüge zum Gefahrengebiet erklärte und von der Polizei abriegeln ließ.

„Das Gefahrengebiet ist das beste Beispiel“, sagt Portalgründerin David über ihre journalistische Arbeit. „Ohne Presseausweis wäre nichts gegangen.“

Daniel Bouhs ist DJV-Mitglied