Kämpfer für die libertäre Demokratie

NACHRUF Zum Tod des Philosophen Claude Lefort

Von der deutschen Presse ignoriert, starb am 3. Oktober der 1924 geborene französische Philosoph Claude Lefort. Die Zeitung Le monde widmete ihm einen ganzseitigen Nachruf und eine weitere Seite mit Erinnerungen von Philippe Raynaud und Alain Touraine. Für Lefort waren die diktatorischen Regimes in den faschistischen Ländern, in der ehemaligen Sowjetunion und in den „befreiten“ Kolonien auf der südlichen Hemisphäre eine Herausforderung, um über die Demokratie nachzudenken.

Lefort sah die Demokratie nicht in den Kategorien von Institutionen, sondern als Lebensform von autonomen Individuen, die sich zu gemeinsamem Handeln zusammentun. Deshalb begrüßte er die Revolte vom Mai 1968 als „außergewöhnlichen Augenblick kollektiver Schöpfung“, bei der es statt um Macht und Herrschaft, um deren Ersetzung durch eine „Acratie“ („Nichtherrschaft“) ging.

Bereits als 18-Jähriger machte ihn sein Lehrer, der Philosoph Maurice Merleau-Ponty (1908–1961), mit der antistalinistisch- trotzkistischen Opposition bekannt. Zusammen mit Cornelius Castoriadis (1922–1979) gründete Lefort die Gruppe Socialisme ou Barbarie, die die Aktivisten des Mai 68 – insbesondere die Brüder Daniel und Gabriel Cohn-Bendit – stark beeinflusste.

Zeitweise näherte sich Lefort Sartre und seiner Zeitschrift Temps modernes an, distanzierte sich jedoch von beiden, als sie 1952/54 vorübergehend auf den Kurs der KPF einschwenkten. Lefort verstand Politik nicht als Parteipolitik, sondern wollte Arbeitern und ihren gewerkschaftlichen Organisationen eine Stimme geben. Unermüdlich kämpfte er als politischer Aktivist wie als Professor für eine „autonome Gesellschaft und libertäre Demokratie“, so der Titel eines Aufsatzes in dem von Ulrich Rödel herausgegebenen Sammelband „Die Frage der Demokratie“. Sein Freund Alain Touraine nannte Lefort „das Antlitz des Gerechten“. RUDOLF WALTHER