Vom Entzaubern einer Eintagsfliege

Die Parteien in Mecklenburg-Vorpommern reagieren mit den üblichen Standardfloskeln auf den Wahlerfolg der NPD

SCHWERIN taz ■ Gäbe es im Verlag Norman Rentrop auch die Loseblattsammlung „Der Wahlreaktionsberater“, stünde auf den Seiten „Einzug von rechtsextremen Parteien“ etwa Folgendes: 1. Zeigen Sie sich schockiert. 2. Übertreiben Sie nicht, sondern grenzen Sie den Schaden ein (Formulierungen: „einige wenige“, „einige Unbelehrbare“). 3. Beschreiben Sie das Phänomen als vergänglich („Eintagsfliege“, „Ausrutscher“, „Denkzettel“). 4. Kündigen Sie das Scheitern der Rechtsextremen in der parlamentarischen Arbeit an („Entzauberung“, „Selbstentzaubern“, Verweis auf Magdeburger DVU-Scheitern.) 5. Bleiben Sie so, wie Sie sind!

Harald Ringstorff steht am Wahlabend um halb zehn im Schweriner SPD-Haus, die Decke über ihm ist voller roter Luftballons, ein Tonassistent fummelt dem 66 Jahre alten Ministerpräsidenten ein Kabel in den Kragen. Schon vor ein paar Stunden hat er erklärt, dass die 7 Prozent der NPD eine Katastrophe sind. „Es gibt immer einige …“, sagt er jetzt, und dass die NPD in Sachsen ja noch mehr Sitze im Landtag habe. Dann ist es ihm aber wichtig, noch mal zu sagen, dass die SPD mit ihrem Absturz auf 30,2 Prozent einen wichtigen Teilerfolg errungen hat: „Wir sind stärkste Partei.“

So haben es alle gemacht. Die Landtagspräsidentin sprach von einem niederschmetternden Tag, und der CDU-Fraktionschef jammerte, das Land habe es nicht verdient, dass die NPD in den Landtag einzieht. Eine CDU-Abgeordnete sprach vom „Denkzettel“ für Rot-Rot, der SPD-Landwirtschaftsminister übernahm die Ankündigung, dass die NPD entzaubert werden müsse. Die PDS-Fraktionschefin versprach eine „knallharte“ Auseinandersetzung mit der NPD im Parlament. Nur ein PDS-Kreischef war orignell, als er eine Antifa-Klausel in der Landesverfassung verlangte. Dagegen klang der bundespolitische Streit am Tag nach der Wahl schon wieder wie gewohnt: Wer hat am Kampf gegen rechts gespart?

Die Reaktionsroutine passt leider diesmal nicht ganz. Denn in Kreisen wie Uecker-Randow oder Ostvorpommern ist die NPD keine Eintagsfliege, kein Denkzettel, und es sind auch nicht nur einige. Dass die Partei dort kontinuierlich erfolgreich und in der Gesellschaft verankert ist, wollen nach der Wahl weder die Landespolitiker noch Regionalpresse sehen. „Wir werden sehen, ob die Rechtsextremen dazugelernt haben“, schrieb ein Kommentator der Schweriner Volkszeitung. „Wenn nicht, wird ihre Arbeit auch im Schweriner Schloss sicher ein Intermezzo sein.“

Der gescheiterte CDU-Chef Jürgen Seidel nimmt die NPD als Argument, um für eine große Koaliton zu werben. Ringstorff will sich in Kürze aussuchen, mit wem er regiert, Rot-Rot hätte eine Einstimmenmehrheit. Seidel sagte: „Wir brauchen gerade wegen des NPD-Einzugs stabile Regierungsverhältnisse und die sind nur durch eine große Koalition herzustellen.“ GEORG LÖWISCH