NACH SCHULSCHLUSS
: Beziehungsstatus

Es muss um die Mittagszeit herum sein, als ein Schwall junger Menschen in die U-Bahn einfällt. Schulschluss. Die einzelnen Personen sind kaum erkennbar, beste Freundinnen schmiegen sich eng umschlungen aneinander, Jungs rempeln sich an, jeder stolpert über die Füße der anderen oder über die eigenen. Fünf von ihnen scheinen sich zu einer Clique zusammengeschlossen zu haben, vier Jungs, ein Mädchen, sie bilden eine lachende, sich neckende Einheit gegen den Rest. Nachdem einige Stationen später drei der Jungs ausgestiegen sind, lassen sich die anderen auf zwei freie Sitzplätze fallen.

Sie kramt einen Brief aus ihrem Rucksack hervor. Er besteht aus zwei Seiten, kariert, aus einem Schulheft herausgerissen. „Darf ich mitlesen?“, fragt der Junge. „Ja, aber erzähl es nicht weiter“, sagt sie und gibt ihm einen der Zettel. Sie fängt an vorzulesen, inklusive Satzzeichen und mit inbrünstiger Intonation: „Liebe Tanja, ich liebe dich so mega, wie ich noch nie zuvor ein Mädchen geliebt habe, Punkt – oh mein Gott! Ich will nicht, Komma, dass du mit Julian rummachst – ey, was denkt der eigentlich, wer er ist? Ich will dich nicht verlieren.“ Sie guckt zu dem Jungen: „Was steht auf dem anderen Zettel, das Gleiche oder was?“ Er zuckt mit den Schultern: „Ja, nur die Stelle mit Julian fehlt.“ Sie schnaubt. „Was will der? Wir sind ja nicht mal zusammen.“ Die Zettel werden weggesteckt, die Emotionen aus dem Gesicht radiert, die Nase gepudert.

Nächstes Thema: eine Party am Wochenende. Er: „Boah, wenn du mitkommst, denken wieder alle, wir wären zusammen.“ Sie: „Na und?“ – „Echt jetzt?“ – „Wir können die doch voll verarschen.“ – „Lass mal auf Facebook unseren Beziehungsstatus ändern und uns so richtig schnulzigen Scheiß auf die Pinnwand posten.“ – „Au ja!“ Bei der nächsten Station steigt der Junge aus. Zum Abschied geben sie sich die Hand. FRANZISKA SEYBOLDT