Friede, Freude, SPD

Die Sozialdemokraten feiern ihren Wahlsieger Klaus Wowereit, als wäre er der Heilsbringer. Danach feuern die SPD-Spitzen genüsslich die Diskussion um Koalitionspartner an. Die Basis zieht es zu Rot-Grün, Rot-Rot wirkt hier wie ein Auslaufmodell

von Matthias Lohre

Es ist sein Abend, und er ist pünktlich. Um genau 18.30 Uhr kommt Klaus Wowereit zur SPD-Wahlparty ins „E-Werk“ an der Wilhelmstraße. Die versammelte Parteibasis klatscht, als sich ihr Spitzenkandidat den Weg in den weiß gekachelten Veranstaltungssaal bahnt. Die Genossen wissen, was sie Wowereit schulden: Ohne den Mann, der jetzt auf dem Podium vor ihnen angekommen ist, würden sie jetzt keinen klaren Wahlsieg feiern. Der Triumph ist vollständig. Wowereit kann es sich leisten, versöhnlich aufzutreten.

Der 52-Jährige steht zwischen dem Parteivorsitzenden Michael Müller und seinem Lebenspartner Jörn Kubicki. Pflichtgemäß dankt Wowereit zuerst seinem loyalen Wahlkampfkoordinierer Müller, der ihm oft genug die störrische Partei vom Hals gehalten hat. Aber als dieser Pflichtteil erledigt ist, spricht der Regierende Bürgermeister von seinem Freund Kubicki.

Das ist ungewöhnlich. Nur selten bringt Wowereit seinen Lebenspartner zu Parteianlässen mit. An diesem Abend jedoch wagt er öffentlich, verletzbar zu wirken. Der CDU-Herausforderer habe törichterweise davon geredet, Berlin brauche wieder eine „First Lady“, ruft Wowereit in den Saal. „Wir haben Jörn. Und das ist auch gut so.“

Nach einer Viertelstunde ist der Auftritt des Wahlsiegers vorüber, Wowereit zieht es zurück vor die Kameras im nahe gelegenen Abgeordnetenhaus. Selbst hier, bei der Gesprächsrunde der Spitzenkandidaten, bewahrt der Wahlsieger Ruhe. Wowereit kann es sich leisten. Direkt neben ihm steht Pflüger. Ins Fernsehmikrofon erklärt der CDU-Mann das schlechteste Abschneiden seiner Partei zum Erfolg. Die Union habe sich „konsolidiert“, der wahre Verlierer sei Rot-Rot. Wowereit blickt bei diesen Worten ungerührt vor sich hin. Dieser Gegner ist besiegt. Ihn muss er nicht mehr attackieren.

Vielleicht schaut Wowereit auch so beseelt, weil Pflügers Worte zum Abschneiden von Rot-Rot bereits an ihm vorbei gehen. Schließlich ist seine SPD in der komfortablen Lage, ihren Koalitionspartner zwischen Linkspartei und Grünen zu wählen. Und der Spitzenkandidat tut alles, die Gerüchte anzuheizen. Bündnisse mit beiden Parteien seien möglich, hat er nur eine halbe Stunde zuvor seinen jubelnden Parteifreunden zugerufen. Und: „Wir werden es daran messen, mit wem wir so viel Sozialdemokratie wie möglich durchsetzen können.“ Das heißt: Wer den Sozialdemokraten mehr Zugeständnisse macht, darf mitregieren. Auf die Koalitionsgespräche wird sich der beinharte Verhandler freuen. Er kann es sich leisten.

Als der Wahlsieger im Dauereinsatz Fernsehinterviews gibt, wird aus der euphorischen SPD-Wahlfeier eine gemütliche Gartenparty. Die Anspannung ist weg. Einzig die Koalitionsfrage bringt die Anwesenden noch in Wallung. Justizsenatorin Karin Schubert kann sich eine Fortführung von Rot-Rot vorstellen, sagt sie den Reportern. Kaum hat sie geendet, erscheint auf der großen Leinwand wenige Meter neben ihr eine Grafik: die mögliche Sitzverteilung im Abgeordnetenhaus. Rot-Rot hätte demnach eine knappe Mehrheit – die Anwesenden schweigen. Als sich zeigt, dass auch Rot-Grün eine Mehrheit zustände brächte, jubeln die Umstehenden.

Rot-Rot oder Rot-Grün? Ingeborg Junge-Reyer hat diese Frage an diesem Abend schon ein Dutzend Mal gehört. Die Stadtentwicklungssenatorin hat ein Bierglas in der Hand. Sie lächelt sehr milde, als sie sagt: „Das soll man nicht am ersten Applaus messen.“ Alles sei noch offen. Und im Umdrehen sagt die 59-Jährige: „Ich war an so vielen Koalitionsverhandlungen beteiligt.“

Es klingt, als seien solche Fragen an diesem Abend fehl am Platz. Der zähe, aber erfolgreiche Wahlkampf ist vorüber. Die SPDler genügen sich selbst. Es ist auch ihr Abend. Sie können es sich leisten.