Abstrampeln fürs Wahlrecht

Migranten aus Nicht-EU-Ländern durften nicht wählen. Der Radler Aydin Akin kämpft dafür, dass sich das ändert

Aydin Akin trägt seine Botschaft nicht vor sich her. Er trägt sie auf dem Rücken: „Demokraten von Europa, schämt euch! Ich lebe und arbeite seit über 40 Jahren hier“, steht auf dem Plakat, das er sich umgehängt hat. „Musste meinen Pflichten (Sozialabgaben, Steuer zahlen) immer nachkommen. Habe aber kein Wahlrecht! Leben wir wirklich in einem Rechtsstaat?“

Mit dieser Frage auf dem Rücken radelt Aydin Akin jeden Tag 40 Kilometer quer durch die Stadt: von seiner Charlottenburger Wohnung zu seinem Büro in Neukölln, wo er als „Steuerberater für kleine Leute“ arbeitet, und abends wieder zurück. Immer gegen 18 Uhr kreist er um den Reichstag und klingelt Sturm. Akin kann nicht verstehen, dass Migranten aus Nicht-EU-Ländern kein Wahlrecht in Deutschland haben, noch nicht einmal auf kommunaler Ebene. „Seit dem 1. September 2005 fahre ich mit dem Rad herum und kann nur feststellen, wie taub, stumm und blind dieses Parlament ist“, sagt der 60-Jährige empört. „Dabei sagt Norbert Lammert, der Bundestagspräsident, sein Haus sei das Herz der Demokratie.“

Als Aydin Akin Ende der 60er-Jahre zum Promovieren nach Berlin kam, fiel er aus allen Wolken. Das Deutschland, von dem die Menschen in der Türkei träumten, schätzte die Einwanderer gering und verachtete die Gastarbeiter, die am wirtschaftlichen Aufschwung mitgewirkt hatten. „Ich bin damals dem Ausländerkomitee beigetreten. Wir wollten eine Demokratie mit gleichen Rechten für alle.“

30 Jahre später kämpft der türkischstämmige Berliner immer noch für dieselbe Sache. „Es war schon schmerzvoll, als die EU-Europäer im Oktober 1995 zum ersten Mal die Bezirksverordnetenversammlungen wählen durften – und wir nicht“, erinnert er sich. „Und diesmal sind die Jugendlichen ab 16 Jahren dran.“

Akin macht sich keine Illusionen mehr: „Erst hießen wir ‚Ausländer‘, dann ‚Gastarbeiter‘, dann ‚Immigranten‘ und jetzt ‚Migranten‘. Ich glaube aber, dass wir Türken für die Deutschen einfach ‚Ausländer‘ geblieben sind. Und so werden wir auch immer noch behandelt.“

Laut Grundgesetz darf nur das „Staatsvolk“ wählen und gewählt werden. Und das sind die deutschen Staatsbürger. An Kommunalwahlen dürfen aber Bürger aus Staaten der EU teilnehmen – wenn sie bereits drei Monate vor dem Abstimmungstermin am Ort wohnen.

„Ich verstehe die deutsche Integrationspolitik nicht“, sagt Akin. „Die Regierung schlägt unseren Jungen vor, sich für die deutsche Staatsangehörigkeit zu entscheiden, wenn sie zwischen 16 und 23 Jahren alt sind. Gleichzeitig werden aber ihre Eltern im Bürgeramt zurückgewiesen. Wie soll das denn klappen?“, empört er sich. Er fordert, das Kommunalwahlrecht von der Staatsangehörigkeit zu trennen. „Wenn man das Wahlrecht hat, interessiert man sich mehr für die Öffentlichkeit“, ist sich der gelernte Steuerberater sicher.

Soll Akins Plan Wirklichkeit werden, müsste der von ihm jeden Tag umrundete Bundestag in Sachen kommunales Wahlrecht aktiv werden. Doch die große Koalition hat derzeit offenbar andere Prioritäten. Aydin Akin muss also weiter fahren – und klingeln. CHARLOTTE NOBLET