Und (fast) alle sind sich einig

BUCHMESSE 3 Autor Florian Kessler will über seine Kritik am homogenen Milieu der jüngeren Literaturgeneration sprechen – es war aber alles gar nicht so gemeint

Wer schreibt das spannendere Buch? Die wohlbehütete Professorentochter oder der traumatisierte Kriegsflüchtling? Klar, die Frage ist unsinnig und führt nirgendwohin. Und doch hat die Debatte um die deutsche Gegenwartsliteratur einen Moment der Selbstreflexion erreicht, der wichtig ist. Dabei geht es weniger darum, ob und wie öde sie ist, sondern wie offen die Türen eigentlich für jene stehen, die nicht in einem deutschen Bildungsbürgerhaushalt aufgewachsen sind und das Schreiben an offiziellen Institutionen erlernt haben.

Eine Podiumsdiskussion im Leipziger Literaturinstitut zu ebendiesem Thema hätte hier anknüpfen können. Tat sie aber nicht. Stattdessen durfte Florian Kessler, der mit seinem Essay (Die Zeit vom 16. 1. 2014: „Lassen Sie mich durch, ich bin Arztsohn!“) diese Debatte angestoßen hatte, seine durchaus kontroversen Thesen erst mal allesamt relativieren. Es habe sich lediglich um eine „hölzerne Polemik“ gehandelt, die er für „einige hundert Euro“ als Vorabdruck der Zeit verkaufte.

Der Digitalverlag mikrotext, der den Essay für die Anthologie „Irgendwas mit Schreiben. Diplomautoren im Beruf“ in Auftrag gab, habe nämlich keinen Vorschuss auszahlen können. Mikrotext-Verlegerin Nikola Richter wiederum ist auch da und beschwert sich darüber, dass die Zeit nicht auf ihren Verlag hingewiesen habe, dass ihr Verlag sowieso selten ernst genommen werde, weil er nur E-Books herausgebe, und dass alle Feuilletons immer nur das Gleiche besprechen würden. Elisabeth Ruge, Ex-Hanser-Mitarbeiterin und Agenturinhaberin, stimmt dem zu und befindet, dass die Gegenwartsliteratur keineswegs bieder sei und man doch nur einen Blick in die Nischen werfen müsse. Wie schön, dass sich alle so einig sind.

Das Stichwort Herkunft allerdings kommt erst recht spät ins Spiel. Das ist schade. War doch Kesslers These, dass die Homogenisierung des Betriebs damit einhergehe, dass alle jungen Autoren aus demselben Milieu und aus denselben Literaturinstituten stammten, der vielleicht interessanteste Aspekt seines Essays. „Der klapprigste Teil der Polemik, der am leichtesten auseinanderfällt“, sagt er im Nachhinein. Dennoch findet er, sollten wir nicht nur ästhetische Debatten führen, sondern auch soziologische. Guido Graf, Dozent am Hildesheimer Institut für Literarisches Schreiben, fällt dazu nur ein, dass man überlege, beim Aufnahmeverfahren Fotos der Bewerber zu verbieten. Problemlösung at its best.

Ein angenehmes, weil deutlich kritischeres Gesicht in der Runde ist das von Schriftstellerin Nora Bossong. Reden sei schön, wenn man einen Gegenstand hätte, über den man reden kann, gibt sie zu bedenken. Doch da sich der Literaturbetrieb nur für sich selbst interessiere, handle es sich um eine In-Group-Debatte und sei somit soziologisch irrelevant. Das Publikum besteht übrigens fast nur aus Studenten des Leipziger Literaturinstituts. Im Anschluss unterhält man sich bei Weißwein und Zigarette. „Wenn man nicht irgendwo im Ausland aufgewachsen ist und einen Krieg miterlebt hat“, sagt eine Studentin zum Kommilitonen, „dann kann man eben auch nicht darüber schreiben.“FATMA AYDEMIR