Volles Hartz IV nur bei Arbeitseinsatz

Sachverständigenrat empfiehlt in Gutachten zum „Kombilohn“: Hartz IV gibt es für Erwerbsfähige in voller Höhe nur noch, wenn sie gemeinnützig arbeiten. Ver.di-Chefvolkswirt Schlecht: „Tausende Arbeitslose fegen dann um den Reichstag herum“

VON BARBARA DRIBBUSCH

Natalja Riel ist das, was sich viele Sozialpolitiker wünschen. Die Hartz-IV-Empfängerin ist hochmotiviert, arbeitet als Bürokraft auf 1-Euro-Job-Basis im Kiezhaus Marzahn in Berlin und hilft Jugendlichen aus der Nachbarschaft bei Bewerbungen und der Stellensuche. Viele Arbeitslose in der Gegend suchten 1-Euro-Jobs, so Riel, „wir bekommen täglich Anfragen“.

Nach dem gestern vorgelegten Gutachten des Sachverständigenrats der Bundesregierung gäbe es mehr Andrang auf gemeinnützige Jobs wie den von Riel. Denn laut Gutachten müssen Hartz-IV-Empfänger künftig solche Jobs machen, wenn sie nicht die Kürzung ihres Arbeitslosengelds II hinnehmen wollen.

Die Expertise der fünf Wirtschaftsprofessoren, die gestern von Arbeitsminister Franz Müntefering (SPD) präsentiert wurde, trägt den Titel: „Arbeitslosengeld II reformieren: Ein zielgerichtetes Kombilohnmodell“. Als Kernstück der Reform soll der Regelsatz für erwerbsfähige Hartz-IV-Empfänger „um 30 Prozent abgesenkt“ werden.

Der Vorschlag des Sachverständigenrates sieht gleichzeitig eine Veränderung bei den Hinzuverdienstgrenzen für Arbeitslosengeld-II-Empfänger vor. Danach sollen die ersten 200 Euro selbstverdientes Geld vom Monatsverdienst voll auf die Sozialleistung angerechnet werden. Wer zwischen 200 und 800 Euro erarbeitet, darf die Hälfte des Entgeltes behalten.

Laut Expertise soll gleichzeitig die Einkommensgrenze für sozialversicherungsfreie Minijobs von heute 400 auf 200 Euro abgesenkt werden. Der Bereich zwischen 200 und 800 Euro Monatsverdienst soll dann einer Sozialversicherungspflicht mit gleitenden Beiträgen unterliegen, heißt es.

Die Krux des Papiers liegt jedoch in einem Nebensatz. Hartz-IV-Empfänger, die auf dem ersten Arbeitsmarkt keinen Job finden, „können ihre Unterstützungsleistung stets durch Tätigkeiten auf dem zweiten Arbeitsmarkt (Arbeitsgelegenheiten) wieder auf das derzeitige Niveau bringen“, heißt es trocken in dem Papier. Damit hätten Langzeitarbeitslose auch ein Recht auf eine Beschäftigungsmaßnahme. 400.000 zusätzliche Arbeitsgelegenheiten müssten dafür laut Expertise zusätzlich geschaffen werden.

Der Würzburger Ökonom Peter Bofinger aber glaubt, dass diese Zahl nicht reicht. Schließlich seien in Deutschland 2,8 Millionen arbeitslos gemeldete Hartz-IV-Empfänger registriert, denen gemäß dem Vorschlag künftig nur noch 240 statt 345 Euro an Regelsatz ausgezahlt würden. „In der Folge werden sich tausende dieser Erwerbslosen in Bewegung setzen und nach Arbeitsgelegenheiten fragen“, so Bofinger. Er gehört zum fünfköpfigen Sachverständigenrat, ist mit dem Gutachten seines Gremiums aber nicht einverstanden.

Die erforderliche Ausweitung der öffentlich finanzierten Beschäftigungsmaßnahmen sei „nicht praktikabel“, so Bofinger. Michael Schlecht, Chefvolkswirt bei der Gewerkschaft Ver.di, wird konkreter: „Dann putzen und fegen tausende Arbeitslose jeden Tag dreimal um den Reichstag herum.“

Die Unternehmer begrüßten gestern das Gutachten. Auch CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla erklärte, das Gutachten bestätige „Kernforderungen der Union“. SPD-Minister Müntefering hingegen betonte gestern erneut, er gehe davon aus, „dass es keine Absenkung des Arbeitslosengeldes II“ geben werde. Natalja Riel aus Marzahn hat mit dieser höheren Politik wenig am Hut. „Alle suchen hier Arbeitsgelegenheiten“, sagt sie. Und vielerorts werden 1-Euro-Jobs derzeit nicht ausgeweitet, sondern eingedampft.