Die neuen Altäre

Im Land der agnostischen Spiritualität fragt die siebte Werkleitz-Biennale in Halle nach den „Happy Believers“

Von einer neuen Religiosität ist die Rede seit der der Fundamentalismus weltweit erstarkt – vornehmlich politisch. Die USA knüpfen in ihrer Außenpolitik („Kampf gegen das Böse“) mit alarmierender Inbrunst an religiöse Formeln an, während sich Madonna auf der Bühne kreuzigen lässt. Politik und Pop. Auch im Privaten finden sich im Alltag Zeichen für die Rückkehr zum Glauben. Es geht immer um eine Suche, ein Reglement für das Leben und seinen höheren Sinn. Dabei bedarf es nicht unbedingt der großen Religionen. Dazu zählen auch politische Überzeugungen, Ideologien und Utopien, die den Menschen paradiesische Verhältnisse ausmalen, irgendwann einmal. So breit zumindest haben die Kuratoren der 7. Werkleitz-Biennale Anke Hoffmann, Solvej Helweg Ovesen, Angelika Richter und Jan Schuijren ihr gewähltes Thema „Happy Believers“ angelegt.

Zum zweiten Mal findet die Biennale nun schon in Halle statt. Die Bundeskulturstiftung trug diesmal nicht zur Finanzierung bei, weshalb die Werkleitz-Gesellschaft mit 150.000 Euro, der Hälfte des letzten Etats, auskommen musste. Dennoch kann sich das Ergebnis sehen lassen. Als Veranstaltungsort dient ein leerstehender Prunkbau, den sich die Arbeiterschaft Halles Anfang des 20. Jahrhunderts als Kulturhaus in den Volkspark baute. Ein passender Ort, um über Glauben, Spiritualismus und Religion zu sinnieren.

Denn anstelle eines gescheiterten realexistierenden Sozialismus ist der Glaube an den globalen Markt und sein stetes Größer, Weiter und Mehr getreten, dessen Auswirkungen die Menschen täglich erfahren müssen. Dass Perspektivlosigkeit und Zukunftsängste die Basis für Spiritualismus, Okkultismus oder gar neuen Glauben sind – und wenn es nur die Hoffnung auf den großen Lottogewinn ist –, liegt auf der Hand. In Sachsen-Anhalt, wo es im Vergleich mit den anderen östlichen Bundesländern die niedrigste Konfessionsrate gibt, führte das Thema „Happy Believers“ zu Irritationen. Laut Marcel Schwierin von der Biennaleleitung wunderte man sich in Sachsen-Anhalt über die Wahl des Themas. Zeigt dieses Unverständnis, dass man sich in Sachsen-Anhalt nicht als Teil globaler Verhältnisse verstehen möchte?

Nur auf die Konfessionszugehörigkeit zu schielen, hilft aber nicht weiter. Ein DFG-Forschungsprojekt fand heraus, dass es eine „agnostische Spiritualität“ gäbe, die sogar an einen – auf dem Gebiet der ehemaligen DDR – verbreiteten Materialismus andocken könne. Wenn die Augen gen Himmel wandern und zu leuchten beginnen, und die Hände in ehrfurchtsvollen Gesten erstarren, muss da nicht unbedingt Gott im Spiel sein. Helden und Götter, von den Menschen, ihren Fans, dazu gemacht, gibt es auf Bühne, Rasen und auch als Produktname im Universum des freien Marktes.

Die 27 Künstlerinnen und Künstler haben sich mit verschiedenen Aspekten des breit angelegten Themas auseinandergesetzt. Erik Bünger hat Szenen aus verschiedenen Filmen aneinandergeschnitten, in denen Künstler mit Hochachtung von Vorbildern schwärmen, als wären sie göttliche Wesen. Zur Inszenierung gottähnlicher Helden gehören ihr Fall und der Bildersturm in zeitgenössischer Form dazu. Von François Bucher gibt es eine Ton-Dia-Show, die den Ikonoklasmus nach 9/11 gegen Plakate mit Britney Spears in der New Yorker U-Bahn dokumentiert. Über Kopfhörer sind die Gespräche zu hören, die in den Tagen nach dem Anschlag am Union Square geführt wurden. Den Kapitalismus als Religion inszeniert Miguel Rothschild in drei Leuchtkästen als Kirchenfenster mit Waren, die das Paradies verheißen. Wie eine gesellschaftliche Utopie ganz postmodern umcodiert und geplündert wird, zeigt Carey Young aus London in ihrer Videoarbeit. Dort lässt sich die im Anzug gekleidete Künstlerin von einem Rhetorik-Coach im Business-Ambiente trainieren, um den Satz „I am a revolutionary“ möglichst authentisch vermitteln zu können.

Die gesellschaftliche Bedeutung der Haute Couture und ihrer Inszenierung längst als Religion lässt sich schon in der Sprache erkennen, wenn von „Tempeln“ und „Kathedralen“ der Mode die Rede ist. Da lag es für Hans Hemmert nahe, den Dom zu Speyer als maßstabgerechtes Modell aus Magazinen von Louis Vuitton zu bauen. Begleitend zur Ausstellung findet ein umfangreiches Film- und Performanceprogramm statt. Am Sonntag präsentiert Bernadette La Hengst in ihrem Videofilm „Komm ins Paradies“ Utopisten, Visionäre und demagogische Desperados, die live mit Text und Gesang kommentiert werden. MATTHIAS REICHELT

Bis Sonntag, www.werkleitz.de